Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
strikte Vertraulichkeit hinweggesetzt habe, um seine Freunde in Finanzkreisen zu warnen, darunter Eugen Guttmann, geschäftsführender Direktor der Dresdner Bank, dass trotz der oberflächlichen Ruhe der Optimismus an der Berliner Börse fehl am Platz und ein Krieg zwischen Deutschland und Russland sehr wahrscheinlich sei. Aber Hjalmar Schacht, nur stellvertretender Direktor und Filialleiter in Guttmanns Dresdner Bank, stand in der Berliner Bankhierarchie noch zu weit unten, um diese verborgenen Hinweise des kaiserlichen Hofs wahrnehmen zu können. Aus seiner Sicht war es kaum zu glauben, dass die Situation derart außer Kontrolle geraten konnte. Es schien zutiefst irrational, zuzulassen, dass internationale Rivalitäten das deutsche Wirtschaftswunder bedrohen konnten.
Obwohl Schachts Position bei der Dresdner Bank, einer der beiden größten Banken Deutschlands, noch bescheiden war, hatte er es für einen jungen Mann ohne familiäre Beziehungen im kaiserlichen Deutschland schon weit gebracht. Mit Sicherheit war man auf ihn aufmerksam geworden. In den Monaten vor dem Beginn der Krise hatte er an einem Kredit für die Stadt Budapest gearbeitet, finanziert von einem Konsortium aus deutschen, Schweizer und niederländischen Banken. Der Schweizer Bankier Felix Somary erinnerte sich später, dass Schacht schon damals »wesentlich besser war als die anderen Direktoren, die allesamt Söhne reicher Väter waren oder in der Bank lediglich ihre Zeit absaßen.«
Mit seinem gestutzten militärischen Schnurrbart und seinem ganz präzise in der Mitte gescheitelten Bürstenhaarschnitt hätte man Schacht leicht für einen preußischen Offizier halten können. Er ging sehr aufrecht und »seltsam steif«; sein strenges Äußeres wurde noch durch die gestärkten, strahlend weißen Hemdkragen aus Zelluloid betont, die er mit Vorliebe trug. Aber er war weder ein Preuße noch hatte er in irgendeiner Weise etwas mit dem Militär zu tun. Er entstammte einer Familie der unteren Mittelschicht aus der Gegend Deutschlands, die an Dänemark grenzt, und aufgewachsen war er in Hamburg, der kosmopolitischsten Stadt im gesamten Deutschen Reich.
Irgendwann sollte Schacht für seinen grenzenlosen Ehrgeiz und seinen unbezähmbaren Erfolgswillen berühmt werden. Zum Teil handelte es sich dabei um eine Reaktion auf seinen Vater, der eine lange Geschichte des Scheiterns hinter sich hatte. Wilhelm Ludwig Leonhard Maximilian Schacht wurde an der Westküste Nordschleswigs geboren, einer Landenge, die Deutschland mit Dänemark verbindet. Dithmarschen ist eine Region mit Salzsümpfen und kleinen, isolierten Milchbauernhöfen; ein kahles und windiges Land, das von großen Deichen gegen die ständige Bedrohung durch die Nordsee geschützt ist. Die Menschen dort gelten als unabhängig und zäh, kurz angebunden, dass es an Unhöflichkeit grenzt. Schleswig und das benachbarte Herzogtum Holstein standen früher unter der Herrschaft der dänischen Krone, obwohl die Bevölkerung sowohl aus Dänen als auch aus Deutschen bestand. Im gesamten 19. Jahrhundert war die Herrschaft über die beiden Staaten ein strittiges Thema zwischen Preußen und dem Königreich Dänemark. 3 Nach zwei kurzen Kriegen besetzte Bismarck 1866 Schleswig und Holstein und verleibte sie dem preußischen Herrschaftsbereich ein. Nach dem Krieg, 1920, fielen die nördlichen Teile Schleswigs, darunter auch die Region, aus der die Familie Schacht stammte, nach einer Volksabstimmung wieder an Dänemark.
Wilhelm Schacht war eines von elf Kindern eines Landarztes. 1869 wanderten fünf der Schacht-Brüder nach Amerika aus, weil sie nun preußische Untertanen und in der preußischen Armee wehrpflichtig geworden waren, was keine erfreulichen Aussichten bot. Wilhelm verbrachte sieben Jahre in den USA. Aber obwohl er die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt, konnte er dort nie so recht Fuß fassen. Er wechselte von einem Job zum anderen, arbeitete für eine Weile bei einer deutschen Brauerei in Brooklyn und in einer Schreibmaschinenfabrik im Norden des Bundesstaates New York. 1876 beschloss er, nach Deutschland zurückzukehren.
Er kehrte zurück, mitten in die Depression, die auf den Boom folgte, den der Krieg zwischen Frankreich und Preußen ausgelöst hatte, und er hatte weiterhin Pech. In den folgenden sechs Jahren versuchte er sich in verschiedenen Berufen – Lehrer, Herausgeber einer Provinzzeitung, Manager einer Seifenfabrik, Buchhalter in einer Firma, die Kaffee importierte – alles ohne
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