Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
der Promotion begann Schacht eine Karriere im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, zunächst bei einem Exportverband, und schrieb nebenbei Wirtschaftskommentare für eine preußische Zeitung. Er war sorgfältig, zuverlässig und begierig danach, die Bankiers und Geschäftsmagnaten zu beeindrucken, denen er nun allmählich begegnete. 1902 weckte er schließlich die Aufmerksamkeit eines Vorstandsmitglieds der Dresdner Bank, und man bot ihm eine Stellung an. Er stieg schnell auf, und 1914 war er ein gut etablierter Manager auf der mittleren Führungsebene bei einer der mächtigen Banken in Berlin.
Im kaiserlichen Deutschland gab es in der Armee oder im Beamtendienst nur begrenzte Aufstiegschancen für einen Mann mit einem Hintergrund, wie Schacht ihn hatte. Aber in den Jahren vor dem Krieg war Deutschland von einem rückständigen Agrarland am Rand Westeuropas zur führenden industriellen Macht geworden und hatte sogar Großbritannien überholt – ein wirtschaftlicher Aufstieg, der ehrgeizigen Männern enorme Chancen eröffnete. Es war eine besonders gute Zeit, um Bankier zu sein, denn in keinem anderen Land Europas waren die Banken derart mächtig. Als internationales Finanzzentrum konnte Berlin zwar noch immer weder mit London noch mit Paris konkurrieren, aber die großen deutschen Bankhäuser dominierten die einheimische ökonomische Landschaft, weil sie die Industrie mit langfristigem Kapital versorgten.
Schacht verbarg seine soziale Unsicherheit hinter einem steifen, formellen Auftreten und schien eine natürliche Begabung dafür zu haben, auf sich aufmerksam zu machen. Dank seiner hervorragenden Englischkenntnisse schickte man ihn 1905 mit einem Vorstandsmitglied der Dresdner Bank in die USA, wo er Präsident Theodor Roosevelt kennenlernte. Noch wichtiger für einen jungen Bankier war, dass er zum Mittagessen in den Speisesaal der Partner bei J. P. Morgan & Co. eingeladen wurde. Er heiratete auch gut – die Tochter eines preußischen Polizeioffiziers, der zum kaiserlichen Hof abgeordnet war. 1914 hatte das Ehepaar zwei Kinder; die elfjährige Lisa und den vierjährigen Jens, und wohnte in einer kleinen Villa in Zehlendorf, damals eine ländliche Vorstadt westlich von Berlin. Von dort fuhr Schacht täglich mit den modernen Elektrozügen, die nun ganz Berlin miteinander verbanden, in sein Büro am Potsdamer Platz.
Als Schacht verfolgte, wie sich die internationale Krise entwickelte, hoffte er bis Ende Juli immer noch auf eine diplomatische Lösung in letzter Minute. Obwohl er davon überzeugt war, es werde nie zum Krieg kommen, entsprang diese Ansicht doch vor allem seinem Wunschdenken. Er hatte es im kaiserlichen Deutschland weit gebracht, hatte viel zu verlieren und konnte sein eigenes Land nicht objektiv beurteilen. Trotz seines liberalen familiären Hintergrunds war er doch ein typisches Produkt des Kaiserreichs – konformistisch, fraglos nationalistisch gesinnt und extrem stolz auf sein Land und dessen materielle und intellektuelle Errungenschaften.
Wie die meisten andern deutschen Bankiers und Geschäftsleute glaubte er, der Schurke in diesem Schauspiel sei das untergehende Großbritannien, das sich dazu verschworen hatte, Deutschland seinen rechtmäßigen Platz unter den Großmächten zu verweigern. Später schrieb er: »Deutschlands ständige Fortschritte an den Weltmärkten hatten den Widerstand derjenigen älteren Industrieländer geweckt, die fühlten, dass ihre Marktchancen bedroht waren.« Vor allem England hatte »sich dabei hervorgetan, ein starkes Netzwerk von Allianzen und Vereinbarungen zu knüpfen, die gegen Deutschland gerichtet waren«, um das Land zu umzingeln.
In den letzten Tagen des Juli 1914 gab es ständig Gerüchte und Gegengerüchte. Berlin wurde abwechselnd von Wellen der Kriegshysterie und der Angst ergriffen. Am Hauptsitz der Dresdner Bank neben dem Opernhaus am Kaiser-Franz-Josef-Platz hatte Schacht einen Logenplatz, von dem aus er das epische Drama verfolgen konnte, das sich unten auf den Straßen abspielte. Jeden Tag marschierten riesige Menschenmengen auf der Prachtstraße Unter den Linden; sie sangen »Deutschland, Deutschland über alles« und andere patriotische Lieder. Mehrmals versuchte der zornige Pöbel die russische Botschaft zu stürmen, die nur wenige Wohnblocks von Schachts Büro entfernt war.
Schließlich, am Freitag, dem 31. Juli um 17.00 Uhr, stieg ein Leutnant der Grenadiergarde auf das Fundament eines gigantischen Reiterdenkmals Friedrichs des Großen,
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