Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
akzeptierten Schuldscheine anstatt der elf Cents, die sie üblicherweise pro Tanz verlangten – vorausgesetzt, der Kunde konnte ein Sparbuch vorzeigen und somit beweisen, dass er das erforderliche Geld besaß.
Mehr als 100 große und kleine Städte, darunter Atlanta, Richmond, Knoxville, Nashville und Philadelphia gaben eigene Interims-Geldscheine heraus. Die Dow Chemical Company prägte alternative Münzen aus Magnesium. Die Zeitung Daily Princetonian stellte sich der Herausforderung, indem sie ihre eigene Währung in Stückelungen von 25 Cents herausgab, die von den örtlichen Kaufleuten akzeptiert wurde – ein Beispiel, wie anpassungsfähig und elastisch die Wahrnehmung von Geld sein kann.
In anderen Städten blühte der Tauschhandel. In Detroit akzeptierte das Colonial Department Store Agrarprodukte als Bezahlung. Ein Kleid kostete drei Fässer Heringe aus der Saginaw Bay, drei Paar Schuhe waren ein Schwein im Gewicht von gut 200 kg wert, andere Waren kosteten 50 Eier oder 80 kg Honig. In Manhattan verkündeten die Veranstalter des Golden Globe-Amateurboxturniers, man lasse Zuschauer gegen Überlassung jedes Gegenstands ein, dessen Wert man auf mindestens 50 Cents schätzen konnte. An diesem Abend vereinnahmte die Turnierkasse Hüte, Schuhe, Zigarren, Kämme, Seife, Meißel, Teekessel, Kartoffelsäcke und Fußbalsam.
Natürlich gab es auch Probleme. Nach vier Wochen ohne Banken schrieben die Kaufleute in Detroit nicht mehr an, die Waren verschwanden aus den Regalen und die Stadt Detroit konnte ihre Anleihen nicht mehr bedienen. In Reno brach die Scheidungsbranche zusammen, weil die Ehefrauen die Gebühren nicht bezahlen konnten. Im ganzen Land saßen Vertreter und Touristen auf dem Trockenen. In Florida erklärte sich die dortige Niederlassung von American Express dazu bereit, Schecks in Höhe von bis zu 50 Dollar einzulösen und wurde von 5 000 Touristen belagert. Die erste Aufgabe des neuen Außenministers Cordell Hull bestand darin, das diplomatische Korps in Washington zu besänftigen. Die Diplomaten argumentierten, ihr Geld sei gegen jede Beschlagnahmung immun und solle unverzüglich freigegeben werden. Der Film King Kong lief in der zweiten Woche nach seinem Erscheinen in halbvollen Kinos – die Einnahmen der Kinos und Theater waren um fast 50 Prozent zurückgegangen.
Das größte Problem war nicht das Bargeld, sondern das Wechselgeld. Die Fünf-Cent-Stücke oder »Nickels«, die man für die U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse brauchte, waren so rar, dass ein Vertreter der Irving Trust Company von einer »Nickel-Hungersnot« sprach. Plötzlich wurden Münzautomaten, aus denen man sich Nahrungsmittel ziehen konnte und wo viele Münzen den Besitzer wechselten, von Frauen in Pelzmänteln belagert, die nicht auf eine Mahlzeit, sondern auf Wechselgeld aus waren.
Am Sonntag, dem 5. März, einen Tag nach der Amtseinführung des Präsidenten, begann der neue Finanzminister William Woodin mit der Zusammenstellung eines Expertenteams, das ein Rettungspaket für die Banken schnüren sollte. Der winzig kleine Woodin, früher Präsident der American Car and Foundry Company, war ein krasser Gegensatz zum nüchternen Mellon. Er war ursprünglich Republikaner und hatte die Partei gewechselt, um Roosevelt zu unterstützen, und er hatte genauso viele Facetten wie Charles Dawes, der den Dawes-Plan entwickelte. Er war ein begabter Musiker und hatte einige Orchesterstücke komponiert, darunter die Covered Wagon Suite , die Oriental Suite und anlässlich der Amtseinführung den »Franklin Delano Roosevelt-Marsch«. Im Büro entspannnte er sich gern, indem er Mandoline oder Gitarre spielte.
Woodin erkannte rasch, dass weder er noch seine Helfer das Wissen oder die Erfahrung hatten, um allein mit dieser Situation fertig zu werden. Er schaffte es, keinen anderen als seinen Amtsvorgänger Ogden Mills und dessen früheren Stellvertreter Arthur Ballantine als Verantwortliche für den Plan zur Bankenrettung zu gewinnen – obwohl Mills, der ein Gut im Tal des Hudson nur fünf Meilen nördlich von Roosevelts Heimat Hyde Park besaß, alles andere als ein Bewunderer des neuen Präsidenten war. Später wurde er zu einem sehr lautstarken Kritiker von Roosevelts Politik des New Deal. Am allerletzten Tag von Hoovers und seiner eigenen Amtszeit hatte Mills einen Gesetzesentwurf vorbereitet, der nun zur Grundlage des Roosevelt-Plans wurde. Sogar Roosevelts Proklamation der Schließung aller Banken im Land basierte auf einem Entwurf,
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