Die Herren des Nordens
dennoch. Er war einer der Türhüter meines Vaters gewesen
und hatte sich darum zu kümmern, ungebetene Leute vom Palas meines Vaters fernzuhalten. Die Silberkette aber zeigte deutlich,
dass er seither in einen höheren Rang aufgestiegen war. Ich schnippte gegen die Kette. «Was seid Ihr jetzt, Aidan?», erkundigte
ich mich.
«Verwalter des Herrn von Bebbanburg», sagte er verdrießlich. Er erkannte mich nicht. Wie hätte er mich auch erkennen sollen?
Ich war neun Jahre alt gewesen, als er mich zum letzten Mal gesehen hatte.
«Also seid Ihr mein Verwalter», sagte ich.
«Euer Verwalter?», fragte er. Dann begriff er, wer ich war, und tat einen Schritt zurück zwischen zwei junge Krieger. Es war
ein unwillkürlicher Schritt gewesen, immerhin war Aidan keine Memme. Zu seiner Zeit war er sogar ein guter Soldat, doch so
unvermittelt vor mir zu stehen hatte ihn aus der Fassung gebracht. Er erholte sich jedoch schnell und sah mich herausfordernd
an. «Die Dame Gisela», sagte er, «ist verheiratet.»
«Bist du verheiratet?», fragte ich Gisela.
|359| «Nein», sagte sie.
«Sie ist nicht verheiratet», erklärte ich Aidan.
Guthred räusperte sich, als wolle er sprechen, aber dann sagte er doch nichts, denn Ragnar und seine Leute kamen in die Kirche.
«Die Dame ist verheiratet», wurde eine Stimme aus den Reihen der Mönche laut. Ich drehte mich um und erkannte, dass es Bruder
Jænberht gewesen war, der gesprochen hatte. «Sie ist mit dem Herrn Ælfric verheiratet», beharrte Jænberht.
«Sie ist mit Ælfric verheiratet?», fragte ich, als hätte ich nicht recht verstanden. «Sie ist mit diesem Stück Läusedreck
von einer Hurenmutter verheiratet?»
Aidan stieß einem der jungen Krieger neben ihm den Ellbogen in die Seite, und der Mann zog sein Schwert. Der andere tat es
ihm gleich, und ich lächelte sie an, und dann zog ich ganz langsam Schlangenhauch.
«Dies ist ein Gotteshaus!», rief Abt Eadred aufgeregt. «Steckt die Schwerter weg!»
Die beiden jungen Männer zögerten, doch als ich Schlangenhauch nicht in die Scheide zurückgleiten ließ, hielten auch sie ihre
Schwerter weiter bereit, wenn sie auch nichts taten, um mich anzugreifen. Sie kannten meinen Ruf, und darüber hinaus klebte
an Schlangenhauch noch überall das Blut von Kjartans Leuten.
«Uhtred!» Dieses Mal unterbrach mich Beocca. Er stürmte in die Kirche und drängte sich zwischen Ragnars Männern nach vorn.
«Uhtred!», rief er erneut.
Ich wandte mich ihm zu. «Das ist meine Angelegenheit, Pater», sagte ich, «und Ihr werdet sie mich in Ruhe erledigen lassen.
Erinnert Ihr Euch an Aidan?» Verwirrung zeigte sich auf Beoccas Gesicht, dann erkannte er den Verwalter, der all die Jahre,
die Beocca meinem Vater als |360| Priester gedient hatte, auf Bebbanburg gewesen war. «Aidan will, dass mich diese beiden Jungen töten», sagte ich, «aber bevor
sie ihm gehorchen», ich sah nun wieder den Verwalter an, «erklärt Ihr mir, wie Gisela mit einem Mann verheiratet sein kann,
den sie noch nie gesehen hat.»
Aidan warf einen Blick zu Guthred hinüber, als erwarte er vom König Hilfe, doch Guthred saß immer noch da wie erstarrt, also
musste es Aidan allein mit mir aufnehmen. «Ich habe Herrn Ælfric an ihrer Seite vertreten», sagte er, «also ist sie in den
Augen der Kirche verheiratet.»
«Habt Ihr sie auch mit in Euer Bett genommen?», erkundigte ich mich, und die Priester und Mönche zischten vor Empörung.
«Natürlich nicht», sagte Aidan beleidigt.
«Wenn keiner sie gehabt hat», sagte ich, «dann ist sie nicht verheiratet. Eine Stute ist nicht gezähmt, bevor sie nicht gesattelt
und zugeritten wurde. Bist du zugeritten worden?», fragte ich Gisela.
«Noch nicht», sagte sie.
«Sie ist verheiratet», beharrte Aidan.
«Ihr habt anstelle meines Onkels vor dem Altar gestanden», sagte ich, «und das nennt Ihr eine Hochzeit?»
«Es ist eine», sagte Beocca ruhig.
«Wenn ich Euch jetzt also umbringe», gab ich Aidan zu bedenken, ohne auf Beocca zu achten, «ist sie dann Witwe?»
Aidan schob einen der Krieger auf mich zu und, närrisch wie er war, griff er mich an, und Schlangenhauch schlug einmal hart
zu, sodass sein Schwert weggeschleudert wurde und meine Klinge auf seinen Bauch zeigte. «Willst du deine Därme auf dem Boden
liegen sehen?», erkundigte ich mich freundlich bei ihm. «Ich bin Uhtred», sagte ich dann, und nun war meine Stimme kräftig
und überheblich. |361| «Ich bin der Herr
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