Die Herren des Nordens
Finan, der |353| von zwei Männern aus Guthreds Haustruppe angegriffen worden war, hatte beide umgebracht, und als ich dazukam, war er dabei,
sich über einen dritten herzumachen. «Der ist auf unserer Seite», rief ich Finan zu.
«Er sieht aber aus wie eine Ratte», knurrte Finan.
«Er heißt Sihtric», sagte ich, «und er hat mir einmal Treue geschworen.»
«Ändert nichts, sieht trotzdem aus wie eine Ratte.»
«Bist du auf unserer Seite?», rief ich Sihtric zu, «oder gehörst du jetzt zum Heer deines Vaters?»
«Herr, Herr!» Sihtric rannte zu mir und fiel in dem aufgeweichten Schlamm neben meinem Pferd auf die Knie. «Ich bin immer
noch Euer Mann, Herr.»
«Du hast Guthred keinen Treueid geleistet?»
«Er hat mich nie darum gebeten, Herr.»
«Aber du dienst ihm, du bist nicht nach Dunholm zurückgekehrt?»
«Nein, Herr! Ich bin beim König geblieben.»
«Das stimmt», sagte Gisela.
Ich ließ Gisela mein Schwert halten und reichte Sihtric die Hand. «Also bist du immer noch mein Mann?»
«Natürlich, Herr.» Meine Hand fest umklammernd, starrte er mich ungläubig an.
«Aber zu viel bist du nicht nütze», sagte ich, «wenn du nicht einmal einen mageren Iren wie den da erledigen kannst.»
«Er ist schnell, Herr», sagte Sihtric.
«Bring ihm deine Kniffe bei», sagte ich zu Finan und tätschelte dann Sihtric Wange. «Gut, dich zu sehen, Sihtric.»
Ragnar hatte zwei Gefangene gemacht, und Sihtric erkannte den größeren der beiden. «Sein Name ist Hogga», erklärte er mir.
«Und jetzt ist er ein toter Hogga», sagte ich. Ich wusste, |354| dass Ragnar keinen von Kjartans Männern am Leben lassen würde, solange Kjartan selbst am Leben war. Das war die Blutfehde.
Das war der Hass. Damit nahm Ragnars Rache für den Tod seines Vaters ihren Anfang, doch Hogga und sein kleinerer Gefährte
dachten offensichtlich, dass sie mit dem Leben davonkommen würden. Sie redeten bereitwillig. Sie berichteten, dass Kjartan
fast zweihundert Männer in Dunholm hatte. Sie sagten, Kjartan habe einen großen Kampfverband zur Unterstützung Ivarrs losgeschickt,
während der Rest seiner Leute unter Rolf auf dieses blutige Feld bei Cetreht gezogen war.
«Warum hat Kjartan nicht alle seine Leute hierher gebracht?», wollte Ragnar wissen.
«Er will Dunholm nicht verlassen, Herr, denn er fürchtet, Ælfric von Bebbanburg könnte angreifen, während er weg ist.»
«Hat Ælfric damit gedroht?», fragte ich.
«Ich weiß es nicht, Herr», sagte Hogga.
Es passte nicht zu meinem Onkel, einen Angriff auf Dunholm zu riskieren, aber er könnte versuchen, Guthred zu retten, falls
er wusste, wo Guthred war. Mein Onkel wollte den Leichnam des Heiligen, und er wollte Gisela, und trotzdem glaubte ich nicht,
dass er sehr viel einsetzen würde, um an beides zu kommen. Sicherlich würde er nicht Bebbanburg selbst aufs Spiel setzen,
ebenso wenig wie Kjartan Dunholm aufs Spiel setzen würde.
«Und Thyra Ragnarsdottir?», lautete Ragnars letzte Frage. «Lebt sie noch?»
«Ja, Herr.»
«Und lebt sie gut?», fragte Ragnar schroff.
Sie zögerten, und dann schnitt Hogga ein Gesicht. «Sie ist verrückt geworden, Herr.» Er sprach jetzt ganz leise. «Sie ist
völlig verrückt.»
|355| Ragnar starrte die beiden Männer an. Unter diesem Blick wurde ihnen unbehaglich, doch dann sah Ragnar zum Himmel hinauf, wo
ein Bussard über den Hügeln im Westen durch die Lüfte glitt. «Und jetzt sagt mir», fuhr er dann leise, fast beiläufig fort,
«wie lange dient ihr Kjartan schon?»
«Acht Jahre, Herr», sagte Hogga.
«Sieben Jahre, Herr», sagte der andere Mann.
«Also habt ihr ihm beide schon gedient», sagte Ragnar immer noch mit gedämpftem Ton, «bevor er sich in Dunholm verschanzt
hat?»
«Und ihr habt ihm beide schon gedient», sprach Ragnar nun mit schroffer Stimme weiter, «als er mit seinen Männern nach Synningthwait
gekommen ist und den Palas meines Vaters niedergebrannt hat. Als er meine Schwester zur Hure seines Sohnes gemacht hat. Als
er meine Mutter und meinen Vater umgebracht hat.»
Keiner der Männer antwortete. Der kleinere zitterte. Hogga sah sich um, als suche er nach einer Fluchtmöglichkeit, doch er
war von berittenen Schwert-Dänen eingekreist. Und dann zuckte er zurück, denn Ragnar zog den Herzbrecher.
«Nein, Herr», sagte Hogga.
«Doch», sagte Ragnar, und sein Gesicht verzerrte sich vor Zorn, als er auf ihn einhieb. Er musste vom Pferd steigen, um Hogga
endgültig zu töten. Er
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