Die Herren von Everon
Meter von ihm entfernt war – aber in welcher Richtung? Wenn der voll ausgewachsene Maolot-Mann sich nun direkt zwischen ihm und dem Posten befand und er, wenn er weiterging, genau in ihn hineinlief?
Jef wurde von eiskalter Ruhe erfaßt. Er versuchte sich zu erinnern, von wo das Brüllen zu kommen schien, als es einsetzte. Aber sein Gedächtnis ließ ihn im Stich – und dann sah er, daß Mikey den Kopf gewandt hatte und blind in eine Richtung starrte. Sie lag geradeaus, aber ein bißchen links von ihrem Weg zum Posten.
Jefs Blick folgte dem Weg, den Mikeys Schnauze wies. Er sah eine Gruppe dicht zusammenstehender Bäume und einen dunkleren Schatten – und dann, während er hinsah, schritt der erwachsene Maolot-Mann, weniger als dreißig Meter entfernt, aus der Deckung.
Jef hörte auf zu atmen. Er hatte von den erwachsenen Maolots gelesen, er hatte heute nacht von Jarji eine Beschreibung gehört, er hatte acht Jahre lang mit Mickey gelebt. Aber nichts davon hatte ihn auf diesen Anblick vorbereiten können.
Wie Jarji gesagt hatte, betrug die Schulterhöhe des Maolots, der nun Jef und Mikey gegenüberstand, beinahe zwei Meter. Der von dem mächtigen Hals getragene Kopf sah aus mehr als zwei Metern Höhe auf Jef und Mikey herab. Eigentlich war er nicht größer als ein großes irdisches Pferd. Nur wurde der Vergleich mit einem Pferd dem Eindruck enormer körperlicher Kraft und Majestät, der von ihm ausstrahlte, nicht im mindesten gerecht.
Seine Gestalt war katzenartig, aber seine Knochen – insbesondere der schwere Kopf – waren selbst für diese Größe massiv. In den Büchern, die Jef über Everon gelesen hatte, war erwähnt worden, ein Maolot-Mann könne einen ausgewachsenen Wisent – einen dieser schweren Büffel – mit dem Maul hochnehmen und davontragen, wie es eine Katze mit einer Maus tut. Jetzt, wo er diesem wilden Jäger der Wälder Everons von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, wurde Jef klar, daß Jarji mit ihrer Weigerung, ihm eine Armbrust zu leihen, mehr Klugheit gezeigt hatte, als ihm bewußt gewesen war. Vielleicht konnte eine Armbrust in ihren geübten Händen einem solchen Tier, wie es Jef nun gegenüberstand, einigen Schaden zufügen. Hätte Jef in diesem Augenblick eine Armbrust gehalten, wäre sie ihm ebenso nützlich gewesen wie eine Steinschleuder.
Jef wurde schwach in den Knien. Er begann wieder zu atmen, aber nur flach. Vor diesem riesigen Maolot war er so hilflos, wie es auf der Erde ein kleiner Vogel vor den Klauen einer Hauskatze gewesen wäre. Ein kalter, langer Schauer überlief ihn, und zum ersten Mal in seinem Leben sah er der Tatsache ins Auge, daß er in ein paar Sekunden tot sein konnte.
Dann geschah das Wunder.
Mikey hatte sich, wie er es immer tat, gegen Jefs Beine gedrückt. Aber als Jef erschauerte, löste sich Mikey überraschenderweise von ihm und bewegte sich auf den großen Maolot zu. Ungefähr drei Körperlängen schritt er vor. Er stellte sich zwischen Jef und den anderen Maolot, und aus seiner Kehle drang das rollende, ansteigende Warnungsknurren, mit dem er in der letzten Nacht auf Jarjis Auftauchen reagiert hatte.
Dieser eine Augenblick, in dem sich Mikey der großen, stummen Gestalt des anderen Maolots gegenüberstellte, schien Jef eine Ewigkeit zu dauern. Aber schließlich verstummte Mikeys Knurren, und die beiden Maolots standen sich schweigend gegenüber.
Etwas geschah.
Jef kniff die Augen zusammen. Weder er noch einer der beiden Maolots hatte sich bewegt, weder Mikey noch der erwachsene Maolot hatten einen weiteren Ton von sich gegeben. Es hatte etwas Nicht-Körperliches stattgefunden. Irgend etwas hatte sich vollzogen. Ohne Vorankündigung, lautlos wie eine Wolke, die vor dem Angesicht der Sonne vorbeizieht, wandte sich der riesige Maolot-Mann um und verschwand. Ganz plötzlich war die Stelle, wo er gestanden hatte, leer bis auf das Sonnenlicht und das Moosgras. Zur rechten Hand erhaschte Jef einen Blick auf ein blaugrünes Flackern. Der Blattschleicher fing wieder an, sich zu bewegen und zu fressen.
Mikey drehte sich um, kam zurück und rieb sich an Jef, als sei gar nichts geschehen.
Die Berührung des jungen Maolots gab Jef die Fähigkeit zurück, zu atmen und sich zu bewegen. Keuchend entließ er die Luft aus seinen Lungen. Er starrte auf Mikey hinab.
„Mikey?“ fragte er. „Was ist geschehen?“
Mikey stieß seinen Kopf in Jefs Magen, als habe er im ganzen Leben noch keinen anderen Gedanken gehabt als an Spielen und Essen. Jef
Weitere Kostenlose Bücher