Die Herren von Everon
vage der Empfindung bewußt, daß irgend etwas, irgendein Geräusch, ihn geweckt hatte. Aber als er dalag und lauschte, hörte er nichts. Die Tür war verschlossen, und Mikey würde gewiß nicht still liegenbleiben, wenn jemand versucht hatte, ins Zimmer zu gelangen.
Jef, halb wach, rührte sich nicht. Er versuchte sich zu erinnern, welche Zeit des Tages oder der Nacht es war und was er getan hatte, als er eingeschlafen war. Offenbar war er sofort weggewesen, als er sich hingelegt hatte, und sein benebeltes Gehirn arbeitete nun sehr langsam.
Nach und nach fielen ihm die Ereignisse wieder ein, auch der Brief, den er Martin unter der Tür hindurchgeschoben hatte. Jetzt, als sich sein langsam arbeitendes Gehirn in einem schlafbefangenen Körper daran erinnerte, kam ihm das Hinterlassen der Nachricht nicht mehr so vernünftig vor wie zu der Zeit, als er es getan hatte. Es stimmte, daß das, was er geschrieben hatte, Mikey und ihn zu gar nichts verpflichtete. Aber er war damit gegenüber jemandem, der bis über die Ohren in verbrecherischen Unternehmungen steckte, eine moralische Verpflichtung eingegangen. Im allerbesten Fall hatte er damit Martin eine Tür weit geöffnet, ihm ermöglicht, daß er zu irgendeiner Zeit in der Zukunft an ihn Forderungen stellen konnte, und das in einem Augenblick, wenn diese Forderungen von unbequem bis zu regelrecht gefährlich alles umfassen konnten. Kurz, Jef bereute, den Brief geschrieben zu haben.
Er versuchte, sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen, aber es gelang ihm nicht. Sein Verstand produzierte ohne seinen Willen fortlaufend Bilder von Martin, der auf der Flucht vor den Behörden war, der versteckt werden wollte, der in einen Kampf mit anderen verbrecherischen Elementen verwickelt war und Jefs – und Mikeys – Hilfe in diesem Kampf verlangte. Das ging einige Minuten lang im Dunkeln so weiter. Jefs Phantasie-Bilder von dem, was geschehen mochte, wurden immer wilder – bis er schließlich mit einem angewiderten Grunzen die Decke zurückschlug und sich aufsetzte.
Wenn du einen Fehler gemacht hast, sagte er zu sich selbst, dann gib es zu.
Er zog seine Schuhe wieder an, stand auf und öffnete die Zimmertür. Er trat auf den Flur, gefolgt von einem neugierigen Mikey, um die Lage zu prüfen. Vielleicht konnte er das Blatt wieder unter der Tür herausangeln …
Aber als er die Tür zu Martins Suite erreicht hatte, blieb er stehen. Stimmengemurmel drang aus dem Zimmer.
Zu spät.
Ein paar Sekunden lang war das alles, was er denken konnte. Dann erkannten seine Ohren die Stimmen. Es waren zwei. Die eine gehörte Martin, und die andere, die tiefere und weichere Stimme, war die von Armage.
Unwillkürlich trat Jef näher an die Tür heran. Selbst als er mit dem Ohr jetzt dicht an der Tür war und sich anstrengte, etwas zu verstehen, bekam er nicht mit, was der Konnetabel sagte, und von der schärferen Stimme Martins wurde nur ab und zu etwas verständlich.
„… überhaupt nicht, mein lieber Avery. Überhaupt nicht …“
„… andernfalls würde ich nicht viel auf die Möglichkeit setzen, daß …“
„… im Oberland natürlich …“
„… weil ich nicht den Wunsch habe, das ist der Grund …“
Die Stimmen brachen plötzlich ab. Den Bruchteil einer Sekunde lang lauschte Jef noch angestrengt. Dann fiel ihm ein, daß vielleicht irgend etwas den Argwohn der beiden Männer im Zimmer erregt hatte und einer oder beide gerade auf die Tür zugingen, um sie zu öffnen und hinauszusehen.
Schnell trat er zurück, zog Mikey mit sich in sein eigenes Zimmer und schloß seine Tür so leise wie möglich. Hinter der geschlossenen Tür horchte er angestrengt noch mehrere Minuten lang. Aber wenn die Tür der Suite geöffnet wurde, geschah dies so geräuschlos, daß er es nicht hören konnte.
Auf jeden Fall, so sagte er zu sich selbst, war nichts weiter dabei zu gewinnen, wenn er sein Lauschen fortsetzte. Was auch zwischen Martin und Armage vor sich gehen mochte – und es war verdächtig, daß Martin den anderen beim Vornamen genannt hatte, wo er doch immer so sorgsam darauf achtete, Jef in aller Form anzureden –, er mußte abwarten, bis die Ereignisse Licht auf die Angelegenheit warfen, wenn sie überhaupt jemals erhellt wurde. Auf jeden Fall waren Jef die Dinge nun aus der Hand genommen worden. Es gab nichts mehr zu sagen oder zu tun, bis Martin zu ihm kam. Dann konnte er ihm ein paar klare Fragen stellen und ebensolche Antworten darauf verlangen.
Sprich die Wahrheit und
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