Die Herren von Everon
Erlebnis, den Geist eines erwachsenen Maolot-Mannes zu teilen, hatte Jef emotional so ausgehöhlt, wie es ihm in seinem Leben noch nie widerfahren war. Dazu war er durch den Ritt auf Mikeys Rücken körperlich erschöpft und elend vor Hunger. Deshalb glitt Jef, der Länge nach auf Mikeys Rücken liegend, in einen Zustand ab, der halb Ohnmacht, halb Schlaf war. Von Zeit zu Zeit schrak er auf, aus Angst, hinabzugleiten. Schließlich konnte Mikey zu ihm durchkommen.
„Ich halte deine Arme und Beine fest“, versicherte Mikey ihm. „Du wirst nicht fallen.“
Erleichtert hörte Jef auf, sich zu ängstigen, und fiel sofort in tiefen Schlaf. Er erinnerte sich, daß er gelesen hatte, Soldaten seien schon auf dem Marsch im Gehen eingeschlafen und hätten doch weiter einen Fuß vor den anderen gesetzt. Damals hatte er es kaum glauben können. Aber jetzt gab er sich damit zufrieden, daß er beim Reiten schlafen konnte.
Als er schließlich erwachte, kletterte Mikey einen steilen, spärlich bewaldeten Abhang hinunter. Es mußte die Wand einer kleinen Felsenschlucht in einem bergigen Terrain sein. Die Luft war kalt und dünn, und es war kurz vor Tagesanbruch – hell genug, um sehen zu können, aber die Sonne war noch nicht über die sie umgebenden Felsspitzen gestiegen. Unter ihnen lief ein winziger Bach durch eine Senkung. Sie hielten auf diesen Bach zu. Gerade eben wanden sie sich durch ein Dickicht von dornigen Everon-Bäumen und traten dann auf den freien Platz neben dem Bach hinaus.
Ein Lager wartete auf sie; Schlafsäcke waren ausgelegt, ein Feuer knisterte. Am Feuer saßen Jarji und Martin, Jarji mit dem Gesicht zu Jef, als er und Mikey ankamen, Martin mit dem Rücken zu ihnen.
Jarji sprang auf die Füße. Auch Martin erhob sich und drehte sich eine Sekunde später um, als Mikey anhielt und Jef vom Rücken des Maolots glitt. Jef bemühte sich, aufrecht stehenzubleiben. Seine Arme und Beine waren steif, und seine Füße wollten ihn nicht tragen.
„Jef …“ begann Jarji. Sie brach ab und setzte sich demonstrativ wieder ans Feuer. „Da bist du also, Robini.“
„Da ist er in der Tat, Jarji“, sagte Martin, der jetzt auch zu Jef hinsah. „Willkommen, Herr Robini. Wir haben sehr geduldig auf Sie gewartet.“
In Jef zerriß etwas.
„Geht doch alle beide zum Teufel!“ explodierte er. „Was ist denn los mit mir? Bin ich der einzige Mensch auf Everon, den niemand bei seinem Vornamen nennen will?“
Seine Knie gaben nach, und er setzte sich, mehr oder weniger mit unterschlagenen Beinen, auf der Stelle nieder, wo er gestanden hatte. Plötzlich durchflutete ihn ein warmes, gutes Gefühl. Er nahm wahr, daß die beiden anderen eilends zu ihm kamen, ihm aufhalfen, ihn zu einem Platz am Feuer führten. Aber er achtete nicht darauf, was sie sagten, weil sein Kopf ganz voll von einer neuen Entdeckung war.
Also dieses Gefühl hatte man dabei, dachte er bei sich. Er hatte es tatsächlich getan. Nachdem diese beiden ihn vom ersten Augenblick ihrer Begegnung an förmlich angeredet und ihm verbale Fußtritte erteilt hatten. Diesmal war sein Ärger nicht einfach in einer müden Gleichgültigkeit untergegangen. Er hatte ihn auch nicht in sich hineingefressen, damit er sich in die traurige Bitterkeit des einsamen Menschen verwandelte, die in all diesen Jahren sein Ersatz für einen richtigen Gefühlsausbruch gewesen war. Er war explodiert.
Natürlich war er nicht wirklich zornig gewesen. Nur gereizt. Aber er hatte reagiert – er hatte instinktiv zurückgebissen, wie es jeder beliebige hätte tun können. Jarjis und Martins Reaktion wiederum war gewesen, daß sie ein großes Getue um ihn machten – wenn man das Wort bei zwei solchen Charakteren, denen jedes Getue fernlag, gebrauchen durfte – und sich mit Hingabe um ihn kümmerten. Jef nahm nicht richtig wahr, was sie sagten, weil er sich vor Erschöpfung benommen fühlte, aber ihre Worte waren auch unwichtig. Es war ihre Absicht, auf die es ankam, und die erfaßte er ganz genau.
Sofort fühlte er sich ausgezeichnet. Schwach natürlich – aber in jeder anderen Beziehung wunderbar. Die Wahrheit war, daß er sich beinahe zu gut fühlte. Es lag ein schreckliches Machtgefühl in dem Wissen, daß er imstande war, so auf andere Leute loszugehen. Jetzt, da er wußte, er konnte irgend jemandem aus keinem besonderen Grund den Kopf abreißen, mußte er sich selbst unter Kontrolle halten, mußte vorsichtig sein, daß die Neigung dazu nicht überhandnahm. Jef wollte sich nicht die
Weitere Kostenlose Bücher