Die Herrin der Kelten
Abwesenheit so, wie er den Verlust eines Zahns wahrnehmen würde, als eine schmerzende Lücke, die ihm immer dann, wenn Ruhe herrschte, wieder unangenehm zum Bewusstsein kam.
Sobald das Signal ertönte, konnte jedoch von Ruhe keine Rede mehr sein. Die Atrebaterin führte sie in östlicher Richtung am Flussufer entlang, vorbei an den Stümpfen von gefällten Bäumen und in das dornige Dickicht hinein, das die Beine der Pferde blutig gekratzt hätte, hätte die Frau nicht den Weg gekannt, auf dem sie unbeschadet passieren konnten. Sie ritten schweigend im Gänsemarsch, eine komplette Kohorte von Batavern und ein ehemaliger Eceni-Krieger, jetzt römischer Staatsbürger. Der Fluss beschrieb einen Bogen nach Norden, und sie folgten der Biegung. Ein Stück weiter hinter ihnen tobte das Chaos der Schlacht, doch der Lärm wurde mit der Entfernung kaum geringer.
»Hier.« Die Frau zeigte auf den Fluss. »Hier verbreitert er sich, und die Strömung ist langsamer. Außerdem werden sie euch an dieser Stelle nicht sehen. Macht eure Sache gut und tötet die Brut des Sonnenhunds!«
Bán kam sich überflüssig vor. Civilis brauchte keinen Dolmetscher. Die Worte der Frau waren so klar, als ob sie Germanisch gesprochen hätte. Vergnügt summte der Bataver das Kampflied seines Stammes vor sich hin. Er zählte im Geist bereits die Toten, die er Rufus nachschicken würde, damit sie ihm im Jenseits als Sklaven dienen mussten. Er drehte sich im Sattel um, um seine Waffen zu überprüfen. Seine Männer taten das Gleiche. Die Frau grinste und verschmolz wieder mit dem Gebüsch.
»Hier.« Civilis reichte Bán eine lange Leinenbandage. »Binde dein Schwert fest, sonst wirst du es verlieren.«
»Danke.« Bán beobachtete einen Mann, der die Stoffbinde um sein Schwertheft schlang und dann durch die Schlaufen seines Sattelgurts zog, und folgte seinem Beispiel. Da er schon am Rhein festgestellt hatte, dass Krähe eine große Abscheu vor dem Wasser hatte, hatte er ihn nie dazu gedrängt zu schwimmen. Jetzt starrte der Hengst auf den Fluss und schnaubte warnend.
Civilis saß ab. Sein Pferd bewegte sich von selbst auf das Wasser zu, wohl wissend, was kommen würde. Er drehte sich grinsend zu Bán um. »Meinst du, du schaffst das?«
»Natürlich.« Caradoc war am jenseitigen Ufer; seine Krieger würden die Ersten sein, die ihnen gegenübertraten. Doch all das kümmerte Bán nicht; das Einzige, worauf es ankam, war, dass er dort sein sollte, um Zeuge von Caradocs Tod zu sein. Es war Teil seines Versprechens gegenüber Iccius und seinem Vater. Und er hatte nicht die Absicht, sich von einem Germanen ausstechen zu lassen. Entschlossen glitt er vom Pferd und zog den Sattelgurt stramm. Krähe warf ihm einen argwöhnischen Blick von der Seite zu und rollte mit den Augen, so dass das Weiße zu sehen war.
Männer versammelten sich in zehnköpfigen Gruppen am Uferrand. Civilis hob einen Arm und senkte ihn jäh. »Gehen wir!«
Im letzten Moment, bevor er ins Wasser ging, erinnerte Bán sich wieder an Breaca und an ihren waghalsigen Versuch, Dubornos aus den Fluten des Flusses zu retten. Der Fluss war warm und schmeckte nach Blut. Er umfing ihn wie ein mütterlicher Schoß und zog ihn unaufhaltsam hinunter. Er sank in die Tiefe, fühlte, wie Krähes Hufe das Wasser neben seinem Kopf aufwühlten, und stieß sich wieder nach oben. Irgendwo tief in seinen Ohren hörte er seine Mutter singen. Er tauchte wieder an der Oberfläche auf. Krähe schwamm mit gebleckten Zähnen. Schaum tropfte von seinem Maul herab und wurde in langen Fäden von der Strömung davongetragen. Bán hielt sich am Halfterriemen des Hengstes fest und trat mit den Beinen. Wenige Augenblicke später ragte das jenseitige Flussufer vor ihnen auf.
»Schwing dich in den Sattel. Verhalte dich leise. Zieh deine Waffe und folge mir.«
Civilis war nun völlig verändert. Sein langes Haar floss triefend nass über seinen Rücken herab, vom Kriegerknoten über dem rechten Ohr aus dem Gesicht gehalten. Er ritt tief über den Hals seines Pferdes gebeugt, während seine Speerspitze über den Boden schleifte. Die Pferde der Bataver schlichen so lautlos wie Jagdhunde auf der Pirsch. Krähe dagegen tänzelte auf den Hufspitzen und schnaubte laut. Bán fluchte in drei verschiedenen Sprachen und tat sein Möglichstes, um den Hengst zu beruhigen. Sie folgten dem Flussufer um die Biegung herum und tauchten in Sichtweite der Schlacht wieder auf. Tausend feindliche Krieger kämpften von ihnen abgewandt,
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