Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
vorgesehen angewandt! Wie viel Kummer vermieden, wie viel Unrecht – wie viel besser erginge es den Menschen, und wie wirksam es der Sache des Friedens dienen könnte!«
John schwenkte seinen Weinbecher und sagte: »Ähnliche Worte hörte ich vom jungen Dickon of Gloucester. Als er ein Junge war, verehrte er seinen Bruder Edward. Er war überzeugt, dass Edward dem Land Gerechtigkeit bringen und alles richten würde, was falsch war, genau wie Artus vor tausend Jahren.«
»Tja, er hätte es gekonnt. Doch er vermählte sich mit dieser Hexe, geriet in Viviens Fänge.« Malory zitierte aus seinen Erzählungen von Artus und seiner Tafelrunde, wobei seine Stimme so melodisch wie die eines Troubadours klang: »›Sie hielt inne, wandte sich ab, senkte das Haupt, und die Goldschlange glitt aus ihrem Haar, der Zopf löste sich. Sie weinte aufs Neue, und der dunkle Wald wurde dunkler als der Sturm.‹«
»Elizabeth Woodville«, sagte ich. »Ja, so sind sie einander begegnet, sie und Edward … Elizabeth lauerte dem König in einem Wald auf, kniete sich vor ihn und flehte ihn tränenreich an, ihr ihre Ländereien wiederzugeben, und dabei ließ sie das Goldband aus ihren Haaren fallen, sodass ihr Haar offen um ihren Leib fiel und den jungen König verzauberte.«
»Daraus schöpfte ich die Inspiration für meine Worte«, antwortete Malory und wandte sich an John. »Es gibt auch ein oder zwei Zeilen für Euch, Mylord.« Wieder bekam seine Stimme einen vollen, melodischen Klang. »›Um meinen Titel schändlich wurd’ ich betrogen …‹« Alle verstummten, und Malory sagte rasch: »Ebenso wenig vergaß ich seine Hoheit, König Edward, und die Hexe, die er zum Weib nahm …
›Geblendet ließ er fahren allen Sinn …
Und rief: ’Dieser Triumph sei mein Gewinn!’
Da kreischt es: ’Oh, Narr!’, die Hexe springt fort,
tief in des Waldes Dickicht, ohn’ weiteres Wort.
Und ’Narr’ schallt es hinter ihr durch den Wald.‹«
Finsteres Schweigen legte sich über die Runde. Wir alle schienen dasselbe zu denken: Und hier sind wir nun, gefangen in dem Sturm, den sie heraufbeschwor.
John riss uns aus unseren trüben Gedanken, indem er sich auf die Knie schlug und aufstand. »Lasst uns zu Bett gehen. Morgen erwartet uns eine beschwerliche Tagesreise, Euch, Malory, nach Warwickshire, wo Ihr endlich mit Eurer Gemahlin wiedervereint werdet, uns nach Seaton Delaval.«
Wir anderen erhoben uns und wünschten einander eine gute Nacht.
Obwohl der Winter seinen grauen Mantel über die Welt gebreitet hatte, fühlte ich die Wärme der Sonnenstrahlen, denn John war bei mir. Auf unserem gemeinsamen Ritt sah er immer wieder zu mir oder ergriff meine Hand, und ich musste an unsere erste Reise gen Norden denken, nach Raby, wo wir vermählt werden sollten. Auch nach all den Jahren strahlten seine Augen noch vor Liebe, und das machte mich überglücklich.
Wir feierten Weihnachten 1470 mit ausgelassenen Festen, denn Warwick hatte dafür gesorgt, dass wir keine Geldnot mehr leiden mussten, und uns viele Truhen voller Gold gesandt. Ganz Middleham, wo wir die Feiertage verbrachten, war von Gesang und Fröhlichkeit erfüllt. Wir alle feierten umso ausschweifender, als wir die Erinnerungen und Ängste vertreiben wollten, die auf unseren Seelen lasteten. Warwick, der sowohl für das Wohl des Königreiches verantwortlich war als auch für die Sicherheit der Meere, machte sich große Sorgen, weil Marguerite bisher noch nicht nach England gekommen war. Offenbar traute sie ihm nicht. Zwar hatte sie Frieden mit ihm geschlossen, doch es gab keine Vergebung zwischen ihnen. Warwicks starke Faust und Wachsamkeit verhüteten, dass es zu einer offenen Rebellion kam, doch wurde das Regieren durch den fehlenden Souverän erschwert. Zweimal reiste Warwick nach Coventry, um Marguerite zu empfangen, und beide Male blieben ihre Schiffe aus.
John war an die Nordküste geritten und verbrachte viel Zeit auf Bamburgh Castle. Dann und wann holte mich die Erinnerung an jenen Abend auf der Klippe dort ein, und es bedurfte großer Willenskraft, die Bilder von seinem Zorn zu verbannen, als er mir die Taten meines Onkels vorgehalten hatte. Im Nest vom letzten Jahr findet man keine Eier , ermahnte ich mich mit Johns Worten und verschloss die Erinnerungen in mir. Denn die Zeit war ein kostbares Gut, und wir konnten nicht ahnen, wie viel uns noch blieb. Wozu gegenwärtige Freuden mit vergangenem Kummer vergiften? Wir mussten weitermachen. Ja, John war in Bamburgh, und, ja, er
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