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Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Die Herrin der Rosen - Historischer Roman

Titel: Die Herrin der Rosen - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Worth
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aufgestellt worden, und noch war niemand sonst dort. Als Constable von England würde der Earl of Oxford den ersten Platz einnehmen, daneben Warwick. Mir wurde der dritte Platz zugeteilt, und ich sank auf das Samtkissen, dankbar, dass ich allein war. Ich brauchte eine Weile, um mich zu fangen, ehe die übrigen Zeugen eintrafen. Seitlich an der Mauer standen Mönche aus der Canterbury-Kathedrale und sangen die Choräle, die mein Onkel liebte. Diese Mönche waren seine Freunde, Nutznießer seiner überbordenden Großzügigkeit, mit denen er viele Stunden im Diskurs über die Heilige Schrift verbracht hatte.
    Der Himmel war eisblau und wolkenlos. Entlang der Mauern und schmalen Vorsprünge hockten Raben und krähten laut, als wollten sie uns ermahnen, rasch zu machen, damit sie fressen konnten. Ich konzentrierte mich auf den Mönchsgesang, um sie nicht zu hören. Wie konnte nur alles so weit kommen?, fragte ich den Himmel, der vor meinen tränennassen Augen verschwamm.
    Langsam erschienen die übrigen Zeugen. Es handelte sich um eine kleine Gruppe von adligen Yorkisten und Lancastrianern, die entweder durch Heirat entfernt verwandt mit meinem Onkel waren oder deren Familien durch ihn Verlust erlitten hatten. Die Angehörigen nickten mir im Vorübergehen zu, die anderen würdigten mich keines Blickes. Der Earl of Oxford indes verneigte sich höflich, bevor er sich setzte. Warwick kam, verbeugte sich lächelnd in meine Richtung und sank auf das ihm zugedachte Samtkissen. Die Mönche beendeten den Gesang, alles war still.
    Der Henker erschien. Er war ganz in Schwarz gewandet und mit einer schwarzen Kapuze verhüllt. Das Wummern seiner schweren Schritte auf den Holzstufen erfüllte mich mit Panik.
    Ich musste einen Laut von mir gegeben haben, denn Warwick flüsterte: »Nur Mut, Isobel!«
    Der Henker stellte sich seitlich auf das Podest, die Beine leicht ausgestellt und beide Hände auf dem Beil, dessen Klinge im Stroh stand. Zwei Landsknechte brachten meinen Onkel, und mein Herz machte einen Sprung. In stiller Würde stieg er die Stufen hinauf, lächelte dem Henker zu und streckte ihm die gefesselten Hände hin. Der Mann durchtrennte die Taue mit einem Dolch. Niemand rührte sich oder gab einen Mucks von sich, als mein Onkel vortrat, um ein letztes Mal zu uns zu sprechen. Mir wurde flau, so sehr überwältigten mich meine Gefühle. Aber ich zwang mich, ruhig zu bleiben und nicht zu weinen. Mein Onkel stand am Rand des Schafotts und lächelte zu mir herab, und ich erwiderte sein Lächeln zittrig.
    Was er sagte, hörte ich kaum, denn ein Nebel hatte sich über mein Denken gelegt, und ich war wie taub. Ich sah, wie sich sein Mund bewegte, nahm jedoch nur Wortfetzen auf.
    »… angeklagt, weil ich nach dem Recht von Padua urteilte, nicht nach dem Englands, aber … Nachsicht ist Schwäche … stets Frieden gewollt, keinen Krieg … bestrebt, meine Pflicht gegenüber England, meinem König, Gott …«
    Durch die Wolke, die mich umgab, wurde ich gewahr, dass alles abermals verstummte. Ich zwang mich aus meiner Benommenheit und blickte nach oben. Mein Onkel trat auf den Henkersblock zu, zog die Jacke aus und reichte sie dem Henker, der sie hinter sich ins Stroh legte. Dann nahm er den Kragen ab und gab ihn ebenfalls dem Mann. Mir wurde eiskalt, und bis mein Onkel einen Gold-Noble aus seiner Hemdentasche nahm und ihn dem Henker überreichte, zitterte ich hilflos. Der Henker murmelte ein Dankeschön. Nun hätte sich mein Onkel hinknien sollen, stattdessen sprach er mit klarer, ruhiger Stimme zu dem Henker:
    »Eines noch. Seid so gut, schlagt mir den Kopf mit drei Axthieben ab, zu Ehren der Dreifaltigkeit.«
    Ein Raunen ging durch die kleine Zuschauermenge. Ich schluckte, weil mir die Kehle eng wurde, und grub die Fingernägel in meine Handflächen. Der Henker, der sichtlich verblüfft war ob dieser Bitte, zögerte einen Moment, ehe er stumm bejahte, und ich bemerkte, dass er die Augen weit aufgerissen hatte.
    Mit einem Blick gen Himmel bekreuzigte mein Onkel sich und sagte: »In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti, in manus tuas, Domine, commendo spiritum meum.« Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, in Deine Hände, Herr, gebe ich meinen Geist. Er kniete sich vor den Henkersblock und legte den Kopf auf das Holz. Dann streckte er die Arme fließend vor und zur Seite als Zeichen, dass er sein Schicksal annahm.
    Die Mönche stimmten einen lateinischen Gesang an, der den hellen Morgen mit der Finsternis des

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