Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
Todes erfüllte. »Sancta Maria, Mater Die, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora morti nostrae …«
Ich neigte den Kopf, um nicht zu sehen, was folgte, und wiederholte ihre Worte tonlos: Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes …
Das Beil fiel. Obwohl ich mich auf den Schlag gefasst gemacht hatte, wusste ich, dass ich nie vergessen würde, wie sich das letzte Wort anhörte, das mein Onkel auf dieser Erde sprach.
»Jesu« , seufzte er beim ersten Hieb.
John kehrte in der Woche darauf nach London zurück. Unser Wiedersehen war bittersüß. Seine Stimme zu hören, seine Arme um mich zu fühlen und ihn zu berühren, wenn er neben mir im Bett schlief, brachte mir eine tiefe Freude; zugleich aber war ich noch erschüttert von jenem Morgen auf dem Tower Hill, und das Bild von meines Onkels Tod warf einen Schatten auf mein Glück. Bevor wir abreisten, nahm John mich mit nach St. Paul’s, wo wir eine Opfergabe darbrachten und für die Seele meines Onkels beteten.
Auf dem Weg zum Altar hielt ich mich an Johns Arm fest. Mein Blick fiel auf die Bank mit Kerzen neben der Seitenkapelle, wo uns vor Jahren Somerset überrascht hatte. Aus Angst vor ihm hatte ich noch am selben Tag an meinen Onkel in Irland geschrieben und ihn verzweifelt um Hilfe angefleht. Die er uns gewährt hatte. Nun war Somerset tot und mein Onkel ebenfalls. Wie vieles hatte sich verändert! Wie vieles war gleich geblieben …
Voller Kummer kniete ich mich vor den Altar und betete für meinen Onkel – und ich betete auch für Somerset.
Ein wahrhaft Gutes brachte Warwicks Machtergreifung mit sich. Er leerte die Gefängnisse, und Ursulas Vater, Sir Thomas Malory, wurde aus seiner Zelle in Southwark befreit, wo er die letzten Jahre verbracht hatte. Wiederholt hatte Elizabeth Woodville, seine Feindin, den Prozess verschoben, weil sie fürchtete, dass Warwick die Geschworenen und Zeugen zu Malorys Gunsten beeinflussen könnte oder es Malory gelang, seine Unschuld zu beweisen.
Während die Kirchenglocken zur Vesper läuteten und sich die Nacht über den Fluss senkte, versammelten wir uns auf einen Becher Malvasier im Sonnenzimmer des Erber. Der alte Malory, inzwischen siebzig und gebeugt vom Alter, weißhaarig und gebrechlich, war überglücklich, in Freiheit zu sein.
»Zehn Jahre verbrachte ich im Gefängnis, unter zwei Königinnen. Dessen können sich nicht viele rühmen!« Er stieß einen Seufzer aus, nippte am Wein und leckte sich nach jedem Schluck die Lippen, um auch noch den kleinsten Tropfen genüsslich auszukosten. »Keiner ahnt, wie schön die Freiheit ist, der nicht jahrelang von drei Steinmauern und einem Gitter eingesperrt war … Dennoch hat sogar das Gefängnis seinen Nutzen, ist man, wie ich, ein Geschichtenerfinder.«
»Wie das?«, fragte ich neugierig.
»Nun ja, jedes Mal, wenn ich zum Prozess erscheinen sollte, wurde ich mit einem Kahn die Themse entlang von Southwark zum Gericht in Westminster gebracht. Meine Reisen waren hinreichend häufig, dass sich mir einige Dinge auf dem Weg einprägten.« Er tippte sich an den Kopf. »Und als ich später die Geschichte von Königin Guineveres Entführung erzählte, erfand ich hinzu, dass Sir Lancelot, in seiner Eile, die Königin zu befreien, an jener Brücke, an der ich den Kahn bestieg, mit seinem Pferd in die Themse ritt und es zum Südufer schwimmen ließ, von wo aus er in den Weiten Surreys verschwand.«
»Das war in den guten alten Zeiten, als Ritter ihre Damen retteten.« John legte grinsend einen Arm um mich. »In unseren Tagen retten die Damen ihre Ritter, nicht wahr, Isobel?« Er prostete mir zu, bevor er trank. »Wie sehr sich die Zeiten doch ändern!«
Sir Thomas betrachtete uns nachdenklich. »Vielleicht erzähle ich eines Tages die Geschichte Eurer Liebe, denn sie ist eine von großer Courage – das heißt, falls ich wieder von einer französischen oder halb französischen Königin ins Gefängnis geworfen werde, Gott behüte! Aber zuerst möchte ich ein wenig leben und mich um einige Angelegenheiten kümmern. Meine Gemahlin schrieb mir, dass der verkommene Brauer ihr nicht das Geld zahlte, das er uns schuldig ist, und sich das Gesetz zunutze machte, um der Begleichung zu entgehen. Zu König Artus’ Zeiten wurde das Gesetz für das Recht eingesetzt, doch heute …« Seine Stimme verlor sich, dann fügte er nach einer Weile hinzu: »Ah, das Gesetz! Wie vieles wäre uns erspart geblieben, würde es wie von König Artus
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