Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
Abtei. Unwillkürlich seufzte ich leise. Gewiss wird es hier länger brauchen, eine Freundin zu finden, überlegte ich, falls sich an solch einem Ort überhaupt eine Freundschaft knüpfen lässt.
Aber das Schicksal zeigte sich gnädig. Zwar setzte man mir einen alten Mann zur Linken, der bei jedem meiner Worte eine Hand an sein Ohr hob und knurrte: »Häh, was?«, bis ich meine Konversationsversuche aufgab, doch stellte sich meine Tischnachbarin zur Rechten als entzückende junge Dame heraus. Sie war eindeutig von adligem Geschlecht und mit fünfundzwanzig noch unverheiratet. Liebenswürdig sprach sie mich an, erzählte mir von sich und erkundigte sich nach mir auf eine erfrischend ungekünstelte Art. Ihr Name war Ursula Malory, und sie hatte rotes Haar. Wie Alice, ging es mir durch den Kopf. Ihre Augen waren blau, sie war von mittlerer Größe und besaß ein strahlendes Lächeln sowie hübsche Züge. Man hätte sie fraglos als schön bezeichnet, wären ihre Sommersprossen und das leichte Schielen nicht gewesen.
»Ihr seid schmal wie eine Zypresse, M’lady, und dennoch nicht hager. Ganz im Gegenteil seid Ihr gut bestückt – ja, sehr gut sogar!« Ursula Malory schmunzelte und blickte zu meinem Busen. Ich errötete und zupfte mein Mieder höher. »Alles ist so, wie Gott uns schaffen wollte, nehme ich an, obgleich ich wünschte, Er hätte einige Dinge an mir anders verteilt – mir oben etwas mehr gegeben und unten weniger. Dann sähe ich nicht wie eine Henne aus.«
Ich wollte widersprechen, aber sie winkte ab. »Sch-sch, ist schon gut. Als ich jünger war, habe ich mehrfach versucht, streng Maß zu halten, doch mein Körper wollte einfach nicht schrumpfen. Also beschloss ich, meine Statur hinzunehmen und das Essen zu genießen. Wie Ihr, Mylady.« Mit diesen Worten löffelte sie eine Hand voll am Spieß geröstetes Wildschwein und Kohl auf eine Scheibe Brot, tunkte sie wie ich in die kleine Holzschale mit süßer Sauce, die wir uns teilten, und aß genüsslich Bissen um Bissen, genau wie ich. Denn ausgenommen auf Tattershall Castle hatte ich stets einen gesunden Appetit gehabt.
Ich verbannte die Erinnerung aus meinen Gedanken und richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf Ursula Malory. Mollig und munter wie sie war, besaß sie eine liebenswerte Ausstrahlung, bei der man weniger an eine Henne dachte als an einen bunten Vogel mit aufgeplustertem Gefieder. Ich mochte sie mit jedem Wort, das wir wechselten, lieber. Bezaubert von ihrer Warmherzigkeit und ihrem Wesen, das nicht minder sonnig war als ihr Haar, schenkte ich ihr ein strahlendes Lächeln. Sie erzählte mir, dass ihr Vater, Sir Thomas Malory, in den Kriegen in Frankreich gegen Johanna von Orléans gekämpft hatte und in den frühen Fünfzigern ein Parlamentsmitglied gewesen war.
»Mein Vater war ebenfalls Parlamentsmitglied. Und auch er kämpfte zu jener Zeit in Frankreich«, sagte ich zwischen zwei Löffeln Porreesuppe. »Ich frage mich, ob die beiden sich kannten.«
»Gewiss kannten sie sich. Wir müssen sie fragen, wenn wir sie das nächste Mal sehen.«
»Mein Vater ist tot«, sagte ich leise. »Seit einem Jahr.«
Ursula legte die Hand auf meine. »Das tut mir leid.« Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Warum seid Ihr am Hof, Mylady?«
Ohne Frage lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung, um mich von meiner Trauer abzulenken, und dafür war ich ihr sehr dankbar. »Ich bin ein Mündel der Königin und wurde aus dem Kloster hergebracht, um vermählt zu werden. Wie ist es mit Euch, Ursula?«
»Ein Mündel der Königin?«, rief sie aus. »Ach, du liebe Güte, dann sollte ich auf meine Manieren achten!«
Ich lachte.
»Ich bin hier, weil ich eine Stellung suche«, erklärte sie. »Obgleich mein Vater ein Ritter ist, verfügt er über keinerlei Besitz. Ich habe also keine Mitgift anzubieten und muss meinen Lebensunterhalt bestreiten.«
Sofort war ich sehr aufgeregt. »Dann braucht Ihr nicht weiter zu suchen, Ursula! Ich brauche eine Zofe!«
Ein Leuchten ging über ihr Gesicht. »Aber nichts kann so einfach sein … ausgenommen die Erzählungen meines Vaters.«
»Nun, heute Abend lacht das Glück wirklich auf Euch herab«, antwortete ich. Ein Diener räumte unsere Teller fort, und ein anderer brachte uns das Dessert, Zimt-Apfel-Speise mit Mandeln und Rosinen. Es war so köstlich, dass ich um eine zweite Portion bat. »Also ist Euer Vater ein Poet? Worüber schreibt er gewöhnlich?«
»Meist über die Liebe und Ritterkämpfe, bei denen es um
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