Die Herrin der Rosen - Historischer Roman
Trefflichste proportioniert, nur erschien er mir zu weibisch und folglich wenig anziehend. Ehrfürchtige Stille senkte sich über den Raum, die einzig vom Stoffrascheln gebrochen wurde, als alle aufstanden und sich verneigten.
»Wer war das, Sir?«, flüsterte ich dem Boten aus Anjou zu.
»Der Earl of Wiltshire, ma dame «, antwortete er. Und als ahnte er, dass ich neu bei Hofe war und nähere Erklärungen brauchte, fügte er hinzu: »James Butler, Earl of Wiltshire und Earl of Ormond.«
Ich bedankte mich mit einem Lächeln. Von jenem Earl hatte ich in einem Gasthaus gehört, in dem wir auf der Reise nach Westminster genächtigt hatten. Wiltshire war einer der Namen, die im Gespräch über den möglichen Vater des jüngsten Sohnes der Königin fielen. Die Tür zum Audienzzimmer stand offen, was ich nutzte, um hineinzuschauen. Jung, wunderschön und glitzernd vor Juwelen saß Marguerite d’Anjou auf ihrem Thronstuhl, ins Gespräch vertieft mit einem opulent gewandeten, gut aussehenden blonden Lord in einem Pelzumhang, der neben ihr auf dem Podest stand. Selbst aus der Ferne konnte ich an seiner entspannten Haltung und der Art, wie sie zu ihm aufschaute, erkennen, dass beide eine enge Beziehung verband.
»Und wer ist der Lord bei der Königin, Sir?«
»Der, ma dame , ist Henry Beaufort, der Duke of Somerset«, sagte er voller Ehrfurcht.
Ich nickte. Dieser Name bedurfte keiner Erklärungen, denn sogar ich wusste, dass der dreiundzwanzigjährige Somerset, der den Titel seines verstorbenen Vaters Edmund geerbt hatte, der mächtigste Lord im Königreich war. Er war sozusagen in allem König, außer im Titel. Sein Vater, Edmund of Somerset, hatte Marguerites Heirat mit König Henry arrangiert. Zum Dank hatte Marguerite Edmund in ihr Herz – und, wie man allenthalben raunte, in ihr Bett gelassen.
Die Königin achtete offensichtlich auch den Sohn sehr hoch, war er doch stets an ihrer Seite. Nie unternahm sie etwas gegen seinen Willen, anders als bei ihrem Gemahl, König Henry. Dem Burgklatsch nach hatte König Henry einmal, nach einem seiner Wahnsinnsschübe, den aufgespießten Rumpf eines Verräters gesehen und nachgefragt. Auf die Auskunft hin, dass es sich um ein menschliches Körperteil handelte, war der König entsetzt gewesen, dass Menschen gevierteilt wurden, und hatte verlangt, dass der Hingerichtete abgenommen und ihm ein christliches Begräbnis gewährt wurde. Natürlich wurde diese Form der Hinrichtung weiterhin praktiziert. König Henry erfuhr nie, dass seine Wünsche missachtet wurden, denn bald darauf verfiel er abermals dem Wahn. Alle belachten ihn unverhohlen; hingegen wagte niemand, offen über Somerset zu lachen.
»Ich wette, der Sohn der Königin entspringt Somersets Lenden«, hatte ich jemanden hinter einer Taverne spotten gehört, dessen Zunge zweifellos vom Trunk gelöst gewesen war. »Aber ob Edmund oder Henry, Vater oder Sohn, tut wohl nichts mehr zur Sache, was?«
Ich musste nicht lange warten, bis mich die Königin empfing. Mein Name wurde gleich nach dem Boten aus Anjou aufgerufen, der eine Nachricht vom Vater der Königin brachte, dem beliebten René d’Anjou, auch bekannt als »der gute König«.
Mit wackligen Knien und pochendem Herzen schritt ich den langen Mittelgang hinauf, der zum Podest der Königin führte, allzu gewiss, dass sie mich ansah, und bemüht, weder die säuerlichen Mienen der Kleriker zu beiden Seiten zu beachten noch die der Höflinge, die in Grüppchen beieinanderstanden und mich mit ihren Blicken entkleideten; dabei tuschelten sie hinter vorgehaltenen Händen. Dann fiel mir Ursulas Rat wieder ein, und ich musste lächeln. Das Kinn gereckt, atmete ich tief ein und zog meine Schultern nach hinten. Der Gang zum Thronsessel kam mir nicht mehr so beängstigend vor, und ich erreichte bald mein Ziel. Dort sank ich zu Boden, neigte den Kopf in die silbrigen Falten meiner Robe und machte einen Knicks vor der Königin.
»Du darfst dich erheben«, sagte Marguerite d’Anjou mit einem süßen, kehligen Akzent.
Aus der Nähe war die Königin zierlich, doch nicht minder beeindruckend als aus der Ferne. Von Edelsteinen überhäuft, blitzte sie gefährlich, und ihre Augen, die mich fixierten, waren so grün wie Anjou-Birnen und schienen mich zu warnen. Ihr dunkelblondes Haar, zu beiden Seiten in Perlennetze geflochten, krönte ein goldgefasster Rubinkranz. Ihr Gesicht war ein klein wenig zu kurz und zu breit, das Kinn etwas zu kantig für eine Frau. Dennoch hätte sie als
Weitere Kostenlose Bücher