Die Herrin von Avalon
lange, wie ihr schien. »Als wir zum Tanz der Riesen gegangen sind«, sagte er, »da wußte ich, einer von uns würde geopfert werden.« Er lächelte über ihr erschrockenes Gesicht. »Es soll geschehen, wie du willst. Ich wollte immer zurück nach Avalon.«
Nach zwei Tagen erreichten sie Sorviodunum. Viviane durchlief ein Schauer bei dem Gedanken, wie nahe sie dem Kreis der Steine waren, wo ihr Leben mit Vortimer begonnen hatte. Aber schon seit drei Tagen war sie krank vor Angst. Sie wußte, das Rucken und Rütteln der Sänfte mußten Vortimer Schmerzen bereiten. Trotz all ihrer Kenntnisse konnte sie die Entzündung kaum unter Kontrolle halten. Vortimer war ein starker Mann. Er würde bestimmt geheilt werden, wenn sie Avalon erreichten. Und so zogen sie weiter. Bald nachdem sie die Stadt verlassen hatten, bogen sie auf den uralten Weg ein, der durch die Hügel nach Westen führte.
Am zweiten Abend schlugen sie das Lager auf einer abgeflachten Hügelkuppe oberhalb der Straße auf. Das Gelände war dicht bewachsen, doch als sich Viviane in der Nähe des Lagers umsah, erkannte sie, daß der Gipfel früher einmal eingeebnet und mit Gräben und Erdwällen umgeben worden war, um ihn zu einer Festung zu machen, wie man sie in alter Zeit anlegte. Sie sagte nichts, denn sie wußte, wie man die Geister solcher Orte besänftigen konnte. Sie wollte die Männer nicht erschrecken.
Sie waren in großer Unruhe. Während ihres Rundgangs hatte Vortimer hohes Fieber bekommen. Er hatte etwas von einer Schlacht gemurmelt. Die Männer vermuteten, daß er noch einmal die Schlacht von Rutupiae erlebte. Im Schein der Flammen sah Viviane, daß ihn das Fieber auszehrte. Als sie den Verband von der Wunde nahm, entdeckte sie mit Entsetzen die verräterischen blauen Streifen des Wundbrands, die sich am Schenkel nach oben zur Leistengegend zogen. Viviane schwieg, reinigte und verband die Wunde wie üblich und behielt ihre Angst für sich.
An diesem Abend saß sie noch spät an Vortimers Lager und half seinem glühenden Körper mit kaltem Wasser aus der Quelle. Wäre es der heiligen Quelle von Avalon entnommen worden, hätte es ihn geheilt. Gegen ihren Willen schlief sie mit dem nassen Tuch in der Hand ein.
Sie erwachte von Vortimers Schrei. Er saß aufgerichtet auf seinem Lager und redete von Speeren und Feinden. Dabei benutzte er dieselbe alte Form der Sprache wie das kleine Volk. Erschrocken rief sie ihn zuerst in dieser Sprache und dann in ihrer eigenen. Sein Blick wurde wieder klar, und er sank schwer atmend in die Decken zurück. Viviane legte Holz nach, und bald brannte das Feuer wieder.
»Ich habe sie gesehen ... « flüsterte er. »Bemalte Männer mit goldenen Halsringen und Bronzespeeren. Sie haben ausgesehen wie du ... «
»Ja«, sagte sie leise. »Wir sind hier an einem Ort des alten Volkes.«
Plötzlich sah er sie angsterfüllt an. »Es heißt, daß die Feen die Seele an einem solchen Ort holen können.«
»Ich wünschte, das würden sie tun. Dann wären wir schneller in Avalon.«
Vortimer schloß die Augen. »Ich glaube, ich werde nie mehr dorthin kommen. Bring mich zurück nach Cantium, Viviane. Wenn du mich an dem Ufer begräbst, wo ich die Schlacht gewonnen habe, werde ich es schützen. Dann werden sich die Sachsen dort nie mehr ansiedeln, ganz gleich, welche anderen britonischen Häfen sie in ihrer Gewalt haben mögen. Versprichst du mir das, meine Geliebte?«
»Du wirst nicht sterben, du darfst nicht sterben!« erwiderte sie verzweifelt und umklammerte seine Hand. Sie war heiß und so schwach, daß Viviane jeden Knochen spürte.
»Du bist die Göttin ... aber du wirst nicht so grausam sein, mich mit solchen Schmerzen am Leben zu halten ... «
Viviane sah ihn an. Sie erinnerte sich an das erste Ritual. Die Göttin hatte ihm den Sieg geschenkt. Jetzt nahm sie sein Opfer an, wie sie damals angekündigt hatte. Viviane war als Priesterin der Göttin das Werkzeug gewesen, durch das dieses Versprechen gefordert wurde. Sie hatte gehofft, Vortimer und auch sich selbst helfen zu können, dem Schicksal zu entfliehen. Sie hatte jedoch nur erreicht, daß er einsam den Tod hier auf dem Hügel fand, wo die Geister der Krieger aus alter Zeit warteten.
»Ich habe dich verraten«, flüsterte sie lautlos, »aber das wollte ich nicht.« Sie hielt sein Handgelenk und legte den Zeigefinger auf den Puls, der wie ein gefangener Vogel flatterte.
Vortimer öffnete die Augen. Sie waren dunkel vor Schmerz. »War also alles umsonst? War all
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