Die Herrin von Avalon
mit der Massage.
»Wie kannst du immer noch hin und her gehen?« fragte Viviane. »Ich könnte mir denken, daß du müde sein mußt. Wäre es nicht einfacher, du würdest dich hinlegen?« Sie wies auf das Bett, wo über dem frischen Stroh ein sauberes Tuch lag.
»Doch«, erwiderte ihre Mutter. »Ich bin müde, aber ... « Sie biß sich auf die Lippen und bedeutete Julia mit einer Geste aufzuhören, bis die Wehe abgeklungen war, dann sprach sie weiter. »Es ist nicht einfacher, zumindest nicht für mich. Wenn ich stehe, trägt das Gewicht des Mädchens dazu bei, es nach unten zu bringen.«
»Du bist dir sicher, daß es ein Mädchen ist?« rief Viviane. »Und was ist, wenn es ein Junge wird? Vielleicht kämpft der lang erwartete Verteidiger Britanniens gerade darum, zur Welt zu kommen.«
»Im Augenblick«, keuchte die Hohepriesterin, »wäre ich der Göttin auch für einen Hermaphroditen dankbar.«
Julia machte ein Abwehrzeichen, und Viviane schüttelte angesichts dieser sarkastischen Bemerkung den Kopf. Die nächste Wehe war noch stärker, und sie dauerte lange. Ana schwankte, dann ließ sie den Kopf sinken.
»Vielleicht hast du recht«, murmelte sie und gab sich geschlagen. »Ich glaube ... ich werde mich eine Weile ausruhen.« Sie ließ den Tisch los, und Viviane half ihr, sich auf das Bett zu legen.
Es zeigte sich bald, daß die Wehen im Liegen schmerzhafter waren, doch im Augenblick empfand Ana es als Erleichterung, nicht mehr auf den Füßen zu sein.
»Bei jeder Geburt kommt ein Punkt, an dem man am liebsten aufgeben würde ... « Ana schloß die Augen. Es blieb ihr jedoch wenig Zeit zum Entspannen. Die nächste Wehe kam, und sie atmete bewußt langsam und tief. »Mädchen rufen nach ihren Müttern ... selbst Priesterinnen. Ich habe es oft gehört, und beim ersten Mal habe ich es selbst getan.«
Viviane trat näher, als Ana sich vor Schmerzen krümmte. Ana griff nach ihrer Hand und umklammerte sie. An der Kraft, mit der sie drückte, konnte Viviane erkennen, was es ihre Mutter für eine Überwindung kostete, nicht laut zu schreien.
»Hast du diesen Punkt erreicht?«
Ana nickte. Viviane blickte auf sie hinunter und zuckte zusammen, als sich die Finger ihrer Mutter von neuem in ihre Hand gruben.
Das hat sie wohl auch durchgemacht, um mich zur Welt zu bringen ...
Der Gedanke war ernüchternd. Viviane hatte in den vergangenen fünf Jahren rücksichtslos gegen ihre Mutter gekämpft und gehofft, sich wenn irgend möglich gegen sie zu behaupten. Jetzt befand sich Ana in der Hand der Göttin und war hilflos IHRER Macht ausgeliefert. Daß sie ihrer Tochter erlaubte, sie in diesem Augenblick der Schwäche zu sehen, hätte Viviane am wenigsten erwartet.
Die Wehe ging vorbei. Ana lag keuchend auf dem Laken. Im Augenblick schienen die Schmerzen auszubleiben. Vielleicht waren sie wie Regenschauer, die kommen und gehen, wenn die Wolken bei einem Sturm vorüberziehen.
Viviane räusperte sich und fragte dann leise: »Wieso wolltest du mich hier haben?«
»Es gehört zu deiner Ausbildung, die Geburt eines Kindes zu sehen ... «
» Deines Kindes? Ich hätte die Erfahrung bei einer Frau vom kleinen Volk machen können.«
Ana schüttelte den Kopf. »Die werfen ihre Kinder wie die Katzen.« Sie schloß die Augen und lächelte. »Bei mir war es die ersten beiden Male nicht anders. Man sagt, je älter man wird, desto schneller kommen die Kinder.« Sie lachte gequält. »Ich glaube aber, mein Bauch hat vergessen, wie das geht.« Viviane ließ sich nicht ablenken und wartete stumm auf die eigentliche Beantwortung ihrer Frage. Ana wußte es und seufzte, denn sie kannte die Hartnäckigkeit ihrer Tochter. »Du solltest sehen, daß es Dinge gibt, die selbst die Herrin von Avalon nicht unter Kontrolle hat.«
»Du willst mich nicht zur Priesterin weihen. Warum sollte mich das interessieren?« erwiderte Viviane.
»Glaubst du das wirklich? Ja, ich kann mir vorstellen, warum. Der Grund ... « Sie brach ab und schüttelte den Kopf. »Es ist oft schwierig, die Aufgaben einer Mutter und einer Priesterin miteinander zu vereinbaren. Das Kind mag ein Junge sein oder ein Mädchen vielleicht ohne besondere geistigen Fähigkeiten, aber als Hohepriesterin habe ich die Pflicht, für meine Nachfolgerin zu sorgen. Ich kann dein Leben nicht aufs Spiel setzen, bis ich weiß ... « eine neue Wehe nahm ihr den Atem.
Und als Mutter?
Viviane wagte nicht, diese Frage zu stellen.
»Hilf mir beim Aufstehen«, befahl Ana heiser. »Es wird länger
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