Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
Vom Netzwerk:
Turm schien weniger eine Bedrohung für die Erde zu sein als eine Herausforderung des Himmels. Er war ein Signal, das auf den Strom der Kraft hinwies. Die Christen hatten so viel von den älteren Religionen übernommen und verstanden so wenig von der wahren Bedeutung der Symbole. Viviane fand, vielleicht sei es gut, daß einige Mysterien im Bewußtsein der Menschen lebendig blieben - und sei es auch in einer entstellten Form.
    Viviane drehte sich um und blickte über das Land, das hinter ihr lag. Sie sah die Flußauen, die sich in einem Wechsel aus Wiesen und wildem Marschland bis zur Mündung der Sabrina erstreckten. Wenn sie tief einatmete, konnte sie sich vorstellen, den leichten Salzgeruch des fernen Meeres wahrzunehmen.
    Sie drehte sich weiter und sah die weiße Spur der alten Straße, die sich in weiten Kurven wie eine Schlange zur grauen Kette der Hügel von Mendip zog, und auf der anderen Seite die freundlicheren Erhebungen der Polderdeiche. Dahinter befanden sich Lindinis und die römische Straße. Ihr kam der Gedanke, daß sie beschließen konnte, in jede dieser Richtungen zu gehen und ein neues Leben zu beginnen. Sie besaß nichts als das lange Gewand, das sie trug, und das kleine Sichelmesser am Gürtel. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie frei.
    Viviane setzte sich auf einen verwitterten Baumstumpf und beobachtete einen Eisvogel, der so schnell wie ein Luftgeist dahinschoß, aufstieg und wie ein Pfeil im Wasser verschwand.
    Das Sonnenlicht glitzerte auf den Wellen und leuchtete im Holz des alten Bootes - ein flacher Kahn, der gestakt wurde. Man hatte ihn ihr gelassen. In der Luft lag noch die Hitze des Mittags, doch im Westen kam eine leichte Brise auf, die den kühlen Atem des Meeres mit sich trug. Sie lächelte und überließ es der warmen Sonne, die gespannten Muskeln zu lockern. Was sollte sie tun? Es schien bereits ein Sieg, überhaupt eine Wahl zu haben. Viviane ließ den Kopf sinken. Sie wußte, wie sie sich entscheiden würde.
    In so vielen Nächten hatte sie von diesem Augenblick geträumt, sich alles genau vorgestellt und geplant, was sie tun würde. Es wäre eine Schande, die Pläne umsonst gemacht zu haben. Doch nicht das hatte ihren Entschluß herbeigeführt. Inzwischen war es ihr auch gleichgültig, ob sie oder Igraine Hohepriesterin werden würde. Wichtig war nur noch das eine. Sie mußte ihrer Mutter beweisen, daß das alte Blut auch in ihr floß. Die Euphorie nach der Geburt hatte sich gelegt. Viviane hatte genug Verstand, um zu wissen, sie und Ana würden sich auch weiterhin streiten. Sie waren sich einfach zu ähnlich. Allerdings verstanden sie einander jetzt besser.
    Viviane wollte nach Avalon zurückkehren. Ihre Motive für diesen Entschluß sprachen von einem neuen Selbstverständnis. Sie empfand es als ihre Pflicht, unter Beweis zu stellen, daß sie eine Priesterin war. Ja, sie wollte zurück, sie wollte mit ihrer Mutter streiten. Sie wollte erleben, wie Igraine wuchs, und zuhören, wenn Taliesin sang.
    Sie stand auf und ging langsam weiter am Ufer entlang. Wie auch immer, zuerst einmal mußte sie zurückkommen.
    Die Kontrolle über das geheime Wissen , so hatte man ihr erklärt, ist eine Frage der Konzentration des disziplinierten Willens. Manchmal ist es jedoch notwendig, den Willen aufzugeben. Das Geheimnis liegt in dem Wissen, wann man die Kontrolle bewahren und wann man loslassen muß .
    Der Himmel war wolkenlos, doch wenn der Wind vom Meer auffrischte, würde es Nebel geben, der sich dann wie die Flut als eine nasse Wand von der Sabrina heranwälzte. Wenn sie das Boot bestieg und nach Avalon zurück wollte, würden jedoch die anderen Nebel kommen. Dann war die Stunde der Bewährung da. Sie mußte unter Beweis stellen, daß sie die Kraft besaß, um die Nebel in Sonnenschein zu verwandeln.
    Viviane lachte plötzlich. Ich muß nicht die Nebel verwandeln, sondern mich selbst .
    Sie drehte sich um und ging langsam zu dem Baumstumpf zurück. »Herrin des Lebens, hilf mir, denn ohne DICH kann ich nicht nach Avalon gelangen. Zeige mir den Weg ... gib mir das Verstehen«, flüsterte sie. »Ich bin dein Opfer ... «
    Viviane setzte sich auf den Baumstumpf, schlug die Beine an den Knöcheln übereinander, so daß sie sich im Gleichgewicht befand, und legte die geöffneten Hände auf die Knie.
    Der erste Schritt zur Lösung der Aufgabe bestand darin, ihre Mitte zu finden.
    Sie atmete ein, hielt den Atem an, stieß ihn langsam aus und mit ihm die vielen Gedanken, die sie abgelenkt

Weitere Kostenlose Bücher