Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrschaft Der Seanchane

Die Herrschaft Der Seanchane

Titel: Die Herrschaft Der Seanchane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
Vom Netzwerk:
›Wilden‹ des Meervolks. Sie würden sie nicht unbedingt tadeln, dass es ihr nicht gelungen war, die Würde der Weißen Burg aufrechtzuerhalten. So weit war es dann doch noch nicht; noch nicht, wohlgemerkt, denn sie schienen sich dieser Position zu nähern. Aber während des ganzen Essens würde es bohrende Fragen und scharfe Bemerkungen geben. Und sie konnte sie nicht einfach bitten, damit aufzuhören. Es war zweifelhaft, dass sie es unterlassen würden, es sei denn, es wäre ein direkter Befehl gewesen. Und sie waren durchaus dazu fähig, zu ihr zu kommen, falls sie nicht zu ihnen kam. Der Versuch, ihnen beizubringen, doch etwas Rückgrat zu zeigen, war ein schrecklicher Fehler gewesen. Wenigstens war sie nicht die Einzige, die sich damit herumschlagen musste, obwohl sie fest davon überzeugt war, dass Elayne es geschafft hatte, dem Schlimmsten zu entgehen. Oh, wie sehr sie sich darauf freute, sie alle wieder im Weiß der Novizinnen oder dem Gewand einer Aufgenommenen zu sehen. Wie sie sich darauf freute, den Atha'an Miere beim Abschied zuzuwinken!
    »Nynaeve!«, ertönte hinter ihr ein seltsam gedämpfter Ruf. Im Akzent des Meervolks. »Nynaeve!«
    Sie zwang sich dazu, den Zopf loszulassen, und fuhr auf dem Absatz herum, bereit, auf der Stelle loszuschimpfen. Jetzt war der Unterricht zu Ende, sie waren nicht auf einem Schiff, und sie sollten sie verdammt noch mal in Ruhe lassen!
    Talaan kam rutschend vor ihr zum Stehen; ihre nackten Füße glitten über die dunkelroten Bodenfliesen. Keuchend sah die junge Frau über die Schulter, als hätte sie Angst, jemand würde sich ihr nähern. Sie zuckte jedes Mal zusammen, wenn sich ein Diener am Rand ihres Sichtfeldes bewegte, und wagte erst wieder zu atmen, wenn sie sicher war, dass es sich tatsächlich um einen Diener handelte. »Kann ich die Weiße Burg besuchen?«, fragte sie atemlos, rang die Hände und sprang von einem Fuß auf den anderen. »Ich werde niemals dazu auserwählt werden. Sie nennen es ein Opfer, das Meer für immer verlassen zu müssen, aber ich träume davon, Novizin zu werden. Ich werde meine Mutter schrecklich vermissen, aber... Bitte. Ihr müsst mich in die Weiße Burg mitnehmen. Ihr müsst!«
    Der Ausbruch ließ Nynaeve blinzeln. Viele Frauen träumten davon, Aes Sedai zu werden, aber sie hatte noch nie eine sagen gehört, sie würde davon träumen, Novizin zu werden. Außerdem... Das Atha'an Miere verweigerte den Aes Sedai die Passage auf jedem Schiff, dessen Windsucherin die Macht lenken konnte, aber um die Schwestern an genaueren Nachforschungen zu hindern, wurde gelegentlich eine Schülerin ausgewählt und zur Weißen Burg geschickt. Egwene zufolge gab es derzeit nur drei Schwestern aus dem Meervolk und die waren alle schwach in der Macht. Dreitausend Jahre lang hatte das ausgereicht, um die Burg davon zu überzeugen, dass die Fähigkeit bei den Frauen des Atha'an Miere nur schwach und selten ausgeprägt war und keine nähere Untersuchung lohnte. Talaan hatte Recht, man würde niemandem von ihrer Stärke jemals erlauben, die Burg zu besuchen, selbst jetzt nicht, da sich ihre Täuschung dem Ende näherte. Tatsächlich war es ein Bestandteil des Vertrags mit ihnen, dass man aus dem Meervolk hervorgegangenen Schwestern erlaubte, die Aes Sedai zu verlassen und zu den Schiffen zurückzukehren. Der Saal der Burg würde mehr als nur aufschreien, wenn er davon erfuhr!
    »Nun, die Ausbildung ist sehr schwer, Talaan«, sagte sie sanft, »und du musst mindestens fünfzehn Jahre alt sein. Außerdem...« Plötzlich wurde ihr noch etwas anderes bewusst, das die junge Frau gesagt hatte. »Du wirst deine Mutter vermissen?«, wiederholte sie ungläubig, und es war ihr egal, wie das klang.
    »Ich bin neunzehn«, erwiderte Talaan beleidigt. Nynaeve betrachtete das jungenhafte Gesicht und den genauso jungenhaften Körper und war sich nicht sicher, ob sie das glauben sollte. »Und natürlich werde ich meine Mutter vermissen. Sehe ich unnatürlich aus? Oh, ich verstehe. Ihr begreift es nicht. Unter uns gehen wir sehr liebevoll miteinander um, aber in der Öffentlichkeit muss sie jeden Anschein von Bevorzugung vermeiden. Das ist bei uns ein ernstes Vergehen. Man könnte meine Mutter dafür ihres Ranges entheben und uns beide an den Füßen in den Rahen aufhängen und auspeitschen.«
    Die Erwähnung, kopfüber in der Luft zu hängen, ließ Nynaeve das Gesicht verziehen. »Ich kann durchaus verstehen, warum du das vermeiden möchtest«, sagte sie.

Weitere Kostenlose Bücher