Die Herrschaft Der Seanchane
barg das Gesicht an der breiten Brust ihres Ehemannes. Es fühlte sich gut an, sich an ihn und die von ihm verkörperte Kraft anlehnen zu können, nur einen Augenblick lang, während er sanft über ihr Haar strich. Selbst wenn sie seinen Schwertgriff zur Seite rücken musste, damit er sich nicht in ihre Rippen bohrte. Und jeder, der über diese öffentliche Zurschaustellung von Zuneigung die Stirn runzelte, konnte gehen und sich aufhängen. Sie konnte sehen, wie eine Katastrophe der nächsten folgte. Selbst wenn sie Zaida und den anderen versicherte, dass sie keinesfalls die Absicht hatte, Talaan irgendwohin zu bringen, würden sie ihr bei lebendigem Leib die Haut abziehen. Diesmal würde sie es nicht vor Lan verbergen können. Falls ihr das überhaupt gelungen war, was das anging. Reanne und die anderen würden es erfahren. Und Alise auch! Sie würden anfangen, sie genau wie Merilille zu behandeln, ihre Befehle ignorieren und ihr genauso viel Respekt erweisen wie die Windsucherinnen Talaan. Irgendwie würde man ihr die Aufgabe aufbürden, Alivia zu bewachen, und das würde in einer Katastrophe münden, in irgendeiner ungeheuren Demütigung. In letzter Zeit schien das alles zu sein, zu dem sie fähig war; eine weitere Möglichkeit zu finden, sich demütigen zu lassen. Und jeden vierten Tag würde sie trotzdem Zaida und den Windsucherinnen gegenübertreten müssen.
»Weißt du noch, wie du mich gestern Morgen in unseren Gemächern aufgehalten hast?«, murmelte sie und sah rechtzeitig auf, um zu sehen, wie die Besorgnis auf seinem Gesicht durch ein Grinsen ersetzt wurde. Natürlich erinnerte er sich. Ihre Wangen röteten sich. Gespräche mit Freundinnen waren eine Sache, aber es schien ihr noch immer schwer zu fallen, mit dem eigenen Mann offen zu sprechen. »Nun, ich möchte, dass du mich auf der Stelle dorthin bringst und ein Jahr lang davon abhältst, etwas anzuziehen!« Zuerst hatte sie das ziemlich wütend gemacht. Aber er wusste, wie er sie die Wut vergessen machen konnte.
Er warf den Kopf zurück und lachte, es war ein tiefer, hallender Laut, und im nächsten Augenblick stimmte sie darin ein. Dabei wollte sie eigentlich weinen. Sie hatte es nicht unbedingt als Scherz gemeint.
Als verheiratete Frau musste sie sich das Bett nicht mit einer oder zwei Frauen teilen, außerdem hatte es ihr ein Wohnzimmer eingebracht. Es war nicht groß, aber es war ihr immer gemütlich erschienen, mit einem schönen Kamin und einem kleinen Tisch mit vier Stühlen. Genau das, was sie und Lan gebraucht hatten. Ehre Hoffnungen auf ungestörte Zweisamkeit erhielten jedoch im Moment ihres Eintretens einen Dämpfer. Die Haushofmeisterin erwartete sie bereits; sie stand genau in der Mitte des geblümten Teppichs, so imposant wie eine Königin, so makellos in ihrem Erscheinungsbild, als hätte sie sich gerade eben erst angekleidet, und nicht im mindesten erfreut. Und in der Zimmerecke stand ein schlecht gekleideter, massiger Bursche mit einer schrecklichen Warze auf der Nase und einer Ledertasche, die schwer von seiner Schulter hing.
»Dieser Mann behauptet, er hätte etwas, das Ihr dringend erwartet«, sagte Frau Harfor nach den üblichen Floskeln. Sie erfüllten alle nötigen Gebote der Höflichkeit, waren aber sehr knapp; mit Ausnahme von Elayne verschwendete sie sie an niemanden. Sie klang, als würde sie von Nynaeve genauso wenig halten wie von dem Kerl mit der Warze. »Ich will Euch nicht verhehlen, dass mir sein Aussehen nicht gefällt.«
Nynaeve war so müde, dass es ihr beinahe unmöglich war, die Quelle zu umarmen, aber angetrieben von Gedanken an Attentäter und das Licht, schaffte sie es im Handumdrehen. Lan musste eine Veränderung in ihrer Miene bemerkt haben, denn er machte einen Schritt auf den Burschen mit der Warze zu; er griff nicht nach seinem Schwert, aber plötzlich schien seine ganze Haltung zu verkünden, dass die Klinge bereits gezogen war. Nynaeve vermochte nicht zu sagen, wie es ihm manchmal gelang, ihre Gedanken zu lesen, da der Behüterbund ihn doch mit einer anderen verband, aber es freute sie. Es war ihr gelungen, Talaan als Ebenbürtige gegenüberzutreten - zumindest, was die Stärke betraf! -, aber sie war nicht davon überzeugt, im Augenblick genug von der Macht lenken zu können, um einen Stuhl umzuwerfen. »Ich erwarte gar...«, setzte sie an.
»Entschuldigt, Herrin«, murmelte der massige Bursche hastig und zerrte an seiner Haarlocke. »Frau Tahne sagte, Ihr wolltet mich auf der Stelle sehen.
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