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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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zuvor noch einen folgenreichen Vorschlag gemacht. »Um die Revolution aufzuhalten«, verriet Plehwe einem Vertrauten, »brauchen wir einen kleinen siegreichen Krieg.«
    Den Krieg provozierte Russland im Fernen Osten, mit dem Kaiserreich Japan. Nikolai, der über Japaner als »Makaken« sprach, als Affen, war voll Zuversicht, doch der Waffengang entwickelte sich schnell zu einem Fiasko. Flaggschiffe wurden versenkt, Admiräle schwer verwundet, Zehntausende Soldaten gerieten in Kriegsgefangenschaft. Die patriotische Begeisterung erlahmte schnell. Im Januar 1905 begannen in St. Petersburg die Metallarbeiter zu streiken, bald waren 150000 Arbeiter im Ausstand. Die Proletarier forderten den Achtstundentag und hygienische Arbeitsbedingungen in den Fabriken. Zwölfstündige Plackerei und auch Kinderarbeit waren üblich.
    Ein orthodoxer Pope namens Georgij Gapon, mit der Polizei verbandelt, rief zu einem Marsch zum Winterpalais auf, um dem Zaren eine Petition zu überreichen. Nikolai, der in seiner Landresidenz in Zarskoje Selo weilte, dachte gar nicht daran zurückzukehren. Rund 10000 Menschen sammelten sich am eisigen Morgen des 9. Januar: festlich gekleidete Arbeiter, Studenten, Bürger. Voran trugen sie ein großes Porträt des Zaren. Und ein Transparent »Soldaten, schießt nicht!« Ein frommer Wunsch. Nachdem am Narwa-Tor Soldaten die Menge vergebens aufgefordert hatten, sich zu zerstreuen, legten sie ihre Gewehre an, feuerten zwei Salven in die Luft und schossen los. Hunderte Menschen, darunter Frauen und Kinder, starben. Der Schnee färbte sich rot.
    »Die Truppen waren gezwungen, in einigen Stadtvierteln zu schießen«, notierte Nikolai in seinem Tagebuch. »Ach Gott, wie schmerzlich und schwer ist es! Mama kam von der Stadt direkt zur Frühmesse. Wir lunchten mit allen.« Zur »Unterdrückung der Unruhen«, wie Nikolai das Ziel formuliert hatte, sprach seine reaktionäre Regierung nur die Sprache der Gewalt: Im polnischen, unter Oberhoheit des Zaren stehenden Lodz erschossen Soldaten mehr als 160 Demonstranten. Auf dem Kriegsschiff »Potjomkin« im Schwarzen Meer exekutierte ein Offizier am 27. Juni 1905 einen Matrosen, worauf die Seeleute alle Offiziere töteten und das Schiff unter ihre Kontrolle brachten. Der Zar schrieb in sein Tagebuch: »Dafür werde ich die Befehlshaber streng und die Rebellen grausam bestrafen müssen. Nach dem Frühstück ging ich spazieren und badete vor dem Tee im Meer.«
    Nikolais Regierung sah sich schließlich gezwungen, den rebellischen Untertanen Zugeständnisse zu machen. Am 30. Oktober 1905 unterschrieb der Kaiser widerwillig ein Dekret, in dem er ankündigte, »der Bevölkerung eine solide bürgerliche Freiheit zu gewähren, die auf der Freiheit des Einzelnen, der Freiheit des Gewissens, der Freiheit der Versammlung beruht«. Zudem sollte die Regierung gesetzlicher Kontrolle unterworfen werden. Damit ein Gesetz in Kraft treten konnte, musste fortan die Duma zustimmen. Der Text des Dekrets stammte weitgehend von Sergej Witte, einem liberalen Ministerpräsidenten. Das im Dezember 1905 erlassene Wahlgesetz spiegelte jedoch vor allem die wirtschaftliche Ungleichheit wider: Die Stimme eines Grundbesitzers zählte 3-mal so viel wie die eines Bürgers, 15-mal so viel wie die eines Bauern und 45-mal so viel wie die eines Arbeiters. Frauen, Landarbeiter, Tagelöhner und Dienstboten durften gar nicht erst wählen. Der Zar blieb »Selbstherrscher« wie alle seine Vorgänger.
    Wenige Tage später kam es in Moskau zum Aufstand. Die Revolutionäre errichteten Barrikaden, doch Soldaten schossen sie bald mit Artilleriegeschützen zusammen. Bei den Kämpfen starben Tausende Menschen. Nikolai notierte: »In Moskau wurde die Revolte Gott sei Dank mit Waffen niedergeschlagen.« Seiner Mutter erklärte er: »Terror muss man mit Terror beantworten.« Die auf den Moskauer Aufstand folgende Gegenrevolution war einfallslos und brutal: Die Polizei verhaftete massenhaft Oppositionelle, die Regierung verbot sozialistische Organisationen. Im Jahr 1906 fielen dem Terror von Polizei und antisemitischen Nationalisten schätzungsweise 60000 Menschen zum Opfer.
    Die im Frühjahr 1906 gewählte Duma, in der die Liberalen die Mehrheit hatten, bestand nur bis Juli, dann löste Nikolai sie auf. Im Februar 1907 trat die zweite Duma zusammen, die der Kaiser nach vier Monaten abermals auseinanderjagte. Schließlich erließ seine Regierung ein neues Wahlgesetz, so dass die dritte Duma eine deutliche konservative Mehrheit

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