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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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seinem Namen zugunsten meines Bruders, Großfürst Michail, ab.« Nikolais Bruder jedoch verspürt keine Neigung, den wankenden Thron zu besteigen. Er verzichtet. Damit sind mehr als 300 Jahre Herrschaft der Romanows über Russland zu Ende. Nikolai II. – jetzt nur noch der Bürger Nikolai Romanow – verlässt das Hauptquartier, um zu seiner Familie zu fahren. »Es herrschte Frost, und starker Wind wehte«, notiert er. »Mein Herz ist schwer, traurig und voller Furcht.«

»Wilde Schießerei«
    Nach der Abdankung kam der Zar
mit seiner Familie unter Hausarrest.
Im Juli 1918 ermordeten Bolschewiki
Eltern, Kinder und Bedienstete.
    Von Michael Sontheimer
    D em Hausarzt der Familie, der die Tür öffnet, sagt der Geheimdienstoffizier Jakow Jurowski scheinbar Beruhigendes: »Die Lage in der Stadt ist unsicher, und so sehen wir uns zum Schutz der Familie genötigt, sie nach unten zu verlegen.« Es dauert eine gute halbe Stunde, bis sich alle angekleidet und im Souterrain versammelt haben: der ehemalige Zar Nikolai, 50, seine Frau Alexandra, 46, die Töchter Olga, 22, Tatjana, 21, Marija, 19, Anastassija, 17, und der einstige Zarewitsch Alexej, 13. Dazu der Leibarzt, ein Diener, zwei Köche sowie ein Zimmermädchen. Jurowski verkündet ihnen: »Angesichts der Tatsache, dass Ihre Verwandten in Europa die Aggression gegen Sowjetrussland fortsetzen, hat das Ural-Exekutivkomitee verfügt, Sie zu erschießen!« »Wie?«, ruft Nikolai. Im nächsten Moment schießt ihm Jurowski mit seinem Revolver ins Herz. Die Gehilfen, zum großen Teil lettische und ungarische Genossen, feuern auf die Übrigen. In einem Geheimbericht vom Februar 1934 heißt es: »Auch die Zarin starb sofort nach ihrem Mann, und die anderen Familienmitglieder (insgesamt zwölf Personen) wurden in einer wilden Schießerei niedergemacht.« Manche Kugeln prallten an Diamanten und Edelsteinen in der Kleidung der Zarentöchter ab; es dauerte über 20 Minuten, bis das chaotische Massaker beendet war.
    Dem Tod im Kugelhagel waren 16 Monate in zunehmender Unfreiheit vorausgegangen. Nach seiner Abdankung Mitte März 1917 wollte Nikolai mit seiner Familie nach England, doch die britische Regierung weigerte sich, die Romanows aufzunehmen. Sie blieben in der Sommerresidenz der Zaren in Zarskoje Selo südlich von Petrograd, wie St. Petersburg seit 1914 hieß. Alexander Kerenski, der starke Mann der Übergangsregierung, fürchtete, Nikolai könnte zur Symbolfigur einer Gegenrevolution werden. Im August 1917 verbannte er ihn mit seiner Familie ins sibirische Tobolsk.
    Nachdem die Bolschewiki an die Macht gekommen waren, befand der Sowjet von Jekaterinburg, dass Tobolsk für einen »derart gefährlichen Gefangenen« nicht geeignet sei. Die Kommunisten internierten die Zarenfamilie in einer Villa in Jekaterinburg. Rotgardisten errichteten einen vier Meter hohen Bretterzaun um das Haus. Zunächst wollten Lenin und die führenden Bolschewiki den letzten Zaren öffentlich anklagen und aburteilen lassen – wie es die Jakobiner mit Ludwig XVI. in der Französischen Revolution praktiziert hatten. Doch als antikommunistische Truppen auf Jekaterinburg vorrückten, fürchteten die Bolschewiki Nikolais Befreiung.
    In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli ging beim Ural-Sowjet in Jekaterinburg das Telegramm ein, mit dem die schon seit ein paar Tagen geplante Erschießung der Zarenfamilie angeordnet wurde. Lenin war in die Entscheidung eingebunden. Jakow Jurowski, der örtliche Chef der Tscheka, setzte sich mit seinen Helfern in Bewegung.
    Was nach dem Massaker geschah, beschrieb ein Beteiligter in einem Geheimbericht: »Wir legten die Leichen in die Grube und übergossen die Gesichter und die Körper mit Schwefelsäure. Um sie unkenntlich zu machen und um Verwesungsgerüchen vorzubeugen. Wir bedeckten sie mit Erde und Reisig, legten Bahnschwellen darauf und fuhren ein paarmal darüber.«
    Der Geheimbericht wurde erst im Jahr 1989 veröffentlicht. Die Bolschewiki behaupteten zunächst, die ehemalige Zarin und ihr Sohn befänden sich an einem sicheren Ort. Doch die Antikommunisten, die im Juli 1918 nach Jekaterinburg vordrangen, sammelten Indizien dafür, dass die ganze Familie ermordet worden war. Nur die Leichen fanden sie nicht. Die Überreste von Nikolai Romanow und seiner Familie exhumierten Polizisten im Juli 1991 auf Befehl des russischen Präsidenten Boris Jelzin in einem Wald. Zwei Privatleute hatten schon 1979 an der Fundstelle drei Schädel ausgegraben, aber aus Angst vor dem

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