Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roswitha Hedrun
Vom Netzwerk:
nordgallischen Städte, von einer trutzigen Römermauer mit mehreren Wehrtürmen eingepfercht war. Zu welchem Zweck diese Umzingelung?, wollte er von Chlodwigs Eltern erfahren, worauf sie ihm erklärten, die Römer befürchteten seit jeher Angriffe auf ihre besetzten Gebiete. Dass sich Menschen aus Angst in eine Stadt einschlossen, konnte Waldur als freiheitsliebender Kelte nur schwerlich nachvollziehen. Er dachte auch nicht länger darüber nach, sondern konzentrierte sich weiterhin auf die Schönheiten Tournais. Immer wieder entdeckte er hier neue stattliche Säulen und Totems sowie kunstvolle Schmiedeeisen- und Steinmetzarbeiten, vor denen er stets bewundernd verweilte. Zwar waren ihm aus seiner Heimat ähnliche Werke vertraut, doch da er eine feine künstlerische Ader besaß, war ihm schnell aufgefallen, dass den Galliern ein eher konkreter Kunststil zu eigen war. Dieser Stil sprach ihn an, wenngleich die symbolisch-abstrakten Kunstwerke Alemanniens seinem Empfinden näher standen.
    E ine Beleidigung für die hiesigen Bauten, dass sie sich im Schmutz förmlich verlieren, regte er sich bei seinen Betrachtungen oft auf. Mit Recht. Denn die Gassen waren von einem solch dicken Teppich aus Unrat und Tierkot bedeckt, dass man mitunter knöcheltief darin einsank und die ganze Stadt wie eine Latrine stank. Chlodwig schwindelte Waldur und Hilibrand vor, dieser Schmutz rühre einzig von den Besatzern her, die ihre Abfälle ausnahmslos in die Gassen kippten, wogegen die Tournaier nichts unternehmen könnten, sie müssten sich von diesen verwanzten römischen Stinkzwergen alles bieten lassen. Waldur glaubte es ihm, zumal die Besatzer noch ungepflegter wirkten als die Franken, und kleinwüchsig waren sie auch, ein römischer Soldat maß allenfalls die Größe eines zwölfjährigen Kelten.
    W aldur wusste, dass heute fast alle Römer in Byzanz lebten, und in dessen Hauptstadt regierte derzeit der Römerkaiser Zenon. Bis vor drei Jahren hatten zwei römische Reiche mit je einem Kaiser existiert, das östliche Reich Byzanz und das westliche Reich Rom selbst. Das westliche Reich war jedoch schwächer und schwächer geworden, bis es sich mit seinen innerpolitischen Querelen selbst zerstört hatte. Der letzte dort herrschende römische Regent war der Unruhe stiftende Kaiser Romulus gewesen, den der König von Italien, der Ostgote Odoaker, bei passender Gelegenheit kurzerhand abgesetzt hatte. Damit war das weströmische Reich endgültig erloschen und Rom war seitdem nichts als eine italienische Stadt, deren römischer Bürgermeister Julius auf König Odoakers Wort zu hören hatte. Waldurs Römischlehrer hatte geäußert, Rom sei eine überaus kulturreiche Stadt, was sich Waldur, angesichts der hiesigen Besatzer, allerdings kaum vorstellen konnte.

Kapitel 3
Am elften Nebelungtag 479
    Ü ber alledem war unversehens das erste Halbjahr verstrichen, und die Junkerschüler genossen nun ihre Winterferien, ein jeder bei sich zu Hause. In Frowang taumelten gerade die ersten Schneeflocken weich vom Himmel, als sich Waldur in seiner heimeligen Dachstube abmühte, den verklemmten Schieber des Heizungsschachtes zu öffnen. Ein paar Schritte hinter ihm saß auf seiner hohen Strohmatratze die Druidin Ethne, seine Ziehmutter, und schaute ihm belustigt zu. Zauberhaft, diese Gotin, immerdar erhellte ein zumindest angedeutetes Lächeln ihr feines Druidengesicht, ihr Haar, durchsichtig wie Glas, fiel ihr in weichen Wellen bis weit in den Rücken, und mit ihrer meist weißgekleideten, Licht schimmernden Gestalt wirkte sie wie ein Himmelswesen, wiewohl sie sich völlig natürlich benahm.
Waldurs leibliche Mutter und seine zwei kleinen Geschwister waren vor vier Jahren Mordopfer eines räuberischen Nomadenüberfalls geworden. Waldurs Schmerz darüber war unbeschreiblich gewesen, und nicht minder der seines Vaters. Ethne hatte dann auf die Bitte des Fürsten Waldurs mütterliche Erziehung übernommen, und damit Waldur keinen aufdringlichen Mutterersatz in ihr sehe, hatte sie ihn seit Beginn wie einen kleineren Bruder behandelt. Mit dieser dezenten Fürsorge war sie ihm die beste Ziehmutter.
Endlich hatte Waldur den Schieber aufbekommen, worauf wohlige Wärme den Raum erfüllte. Wie er anschließend noch überprüfte, ob das fast durchsichtige Pergament, das er gegen die einfallende Winterkälte vor sein Dachfenster gespannt hatte, auch dicht genug saß, bat Ethne ihn: „Jetzt komm endlich her zu mir, Brüderlein, ich will mich mit dir unterhalten. Seit

Weitere Kostenlose Bücher