Die Hexe soll brennen
Donaumarschen, manchmal zu Pferd, öfter aber zu Fuß, wobei er das Tier am Zügel führte. Fraß sich der Hengst an einem Kräuterstrich, einem Eck Hafer fest, dann blieb auch der Pfleger gedankenverloren stehen, zwang dem Tier seinen Willen nicht auf, ließ es ganz unreiterlich gewähren.
In den Nächten stöhnte der Mann, warf sich im Bett herum, heulte zuweilen. Für Anne war das Leben an seiner Seite schwer, doch sie war es seit mehr als einem Jahr so gewohnt. Dann, eine Woche nach dem Urteil, kam es zur Aussprache. Kaspar Michel hatte wieder schwer geträumt, schweißgebadet war er in der knarrenden Bettstatt hochgefahren, lag nun in den Armen seines Weibes.
Anne dachte, wie so oft in diesem Jahr, an ihre eigene Familie, die den Hexenwahn hatte tragen müssen und sagte, selbstlos tapfer, zu ihrem Gatten: »Du gibst dir die Schuld daran, daß sie brennen müssen, aber du hast keine Schuld. Es waren die anderen, die es so weit gebracht haben: der Hanndloß, der Jesuit, der Graf, die besoffenen Herren Scherer und Edlmar, auch der Kapuziner. Du hast sie ja retten wollen, damals, als der verfluchte Auer nach Regensburg lief. Hast den Hanndloß gebeten, nichts auszusagen. Es ist nicht deine Schuld, daß du es nicht verhindern konntest!«
Der Pfleger schwieg lange und antwortete dann: »Daran liegt's nicht. Freilich habe ich die Anzeige niederschlagen wollen, aber dann habe ich doch auf der Richterbank gesessen. Ich habe mich nicht gewehrt dagegen, habe geurteilt, obwohl ich längst wußte, daß wir gegen Phantome verhandelten, daß es keine Hexen gibt. Anne, wir haben zusammen den Friedrich Spee gelesen; der weist nach, welch ein Wahnsinn mit diesen Prozessen in der Welt ist. Das habe ich gewußt, und dennoch bin ich neben dem Jesuiten, dem Kapuziner gehockt und hab' das Maul nicht aufbekommen. Das ist meine Schuld, Anne. Weil ich es gewußt habe …«
»Und wenn du etwas dagegen gesagt hättest? Dann hätten sie zuletzt auch dich auf die Streckbank gezerrt, auch mich, unser Gesinde. Du mußtest schweigen, Kaspar!«
»Das sagst du?« Der Pfleger preßte die Oberarme seines Weibs. »Du, obwohl sie deine Verwandte in Franken verfolgt haben?«
»Gerade deswegen sag' ich's«, erwiderte Anne. »Weil ich weiß, wie sie es treiben können.« Unvermittelt begann sie zu schluchzen. »Ich weiß ja, daß man dem Spee folgen müßte und sie alle zur Hölle senden! Aber wir haben nicht die Macht dazu. Wenn du was sagst gegen den Hexenwahn, dann landest du selbst auf dem Scheiterhaufen. Auch der Friedrich Spee mußte sich verbergen, nachdem er sein Buch hatte ausgehen lassen. Jetzt ist er längst tot und nur deswegen in Sicherheit. Aber du weißt auch, daß die anderen seine ›Cautio criminalis‹ oft verbrannt haben. Wir beide haben das Buch ja auch nur heimlich gelesen.«
»Alles wahr«, stöhnte der Pfleger. »Ich weiß es ja – und trotzdem quält es mich Tag und Nacht, weil ich mich fragen muß, was man tun kann. Ich habe auf der Richterbank gesessen, und jetzt soll ich einfach weiterleben, als wär' nichts geschehen. Das kann ich nicht, Anne! Ich bin doch kein seelenloses Vieh. Die anderen, die ich habe verurteilen helfen, die sind jetzt verkrüppelt, die faulen in den Verliesen. Die haben bloß noch eine Gnadenfrist, bis die Pfaffen mit ihnen fertig sind, dann müssen sie brennen. Auch die Katharina. Das Mädchen, das wir hier im Schloß aufziehen wollten.«
»Ich weiß es ja! Ach, Kaspar …« Jetzt war es die Frau, die zusammenbrach, in den Armen des Mannes Schutz suchte. »Ich weiß es doch auch!« Haltloses Schluchzen, zusammengekrümmter Leib. Hilflosigkeit.
Und wegen dieses Schluchzens erwuchs dem Pfleger zorniger Mut. »Noch sind ja ein paar Monate, ein Jahr vielleicht, Zeit«, knirschte er. »Zuerst müssen ja die Pfaffen ihr Werk tun. Zum Brennen kommt es noch nicht gleich. Wir haben Zeit, Anne, noch haben wir Zeit …«
Das Schluchzen der Frau erstarb. »Was willst du tun, Kaspar?«
»Ich weiß es noch nicht«, erwiderte der Pfleger. »Aber ich werde es wissen, ehe sie diese schuldlosen Menschen verbrennen. Bei Gott, ich werde es wissen!«
Der Segen
Dezember 1691
»Denn in der Nachbarschaft Straubings pflanzte schon vor mehreren Jahren der Teufel, der Feind des Menschengeschlechts, zusammen mit seinem Gefolge in die Herzen mehrerer Christen die Saat der abscheulichsten Zauberei, so daß bis dahin fromme Familien, mit dem Übel erst einmal angesteckt, das verderblichste Unkraut
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