Die Hexe soll brennen
als ein entsetzlich abgemagertes Mädchen von fünfzehn Jahren, ein halbwüchsiges Menschenwesen, dem büschelweise die Haare ausgefallen waren, schmutzig, heruntergekommen, meistens völlig teilnahmslos und mit den Reaktionen eines Kleinkindes.
Aber da war eben auch dieses andere in ihrem Wesen, etwas, das ihn unbewußt wie etwas Verwandtes berührte. Wenn sich dieses Mädchen scheu vor ihm ins Stroh, gegen die Kerkerwand drückte, die verschränkten, knochigen Arme im mageren Schoß barg, wenn ihre Augen abwesend und dunkel wurden, dann spürte Straßmayr instinktiv, daß Katharina tief in sich ein ähnliches Geheimnis verschloß wie er selbst. Was er aus dem Ginsterstrauch heraus beobachtet hatte, was ihn geprägt hatte für sein ganzes Leben, ohne daß es ihm je bewußt geworden wäre, hatte, auf andere Weise und zu anderer Zeit, auch dieses Mädchen betroffen. Auch sie lebte hinter einer Art Visier, und dieses Verschüttetsein in sich selbst zog ihn an Katharina an. Deswegen bemühte er sich allein um sie, deswegen ließ er keinen der Kapuziner zu ihr, deswegen zog es ihn immer wieder in den Kerker, deswegen fraß und soff er unmäßiger als je zuvor.
Umgekehrt reagierte auch Katharina ungewöhnlich auf den, der sie zum Scheiterhaufen verurteilt hatte. Ihr Visier war bereits vor eineinhalb Jahren gefallen, als sie jene Vision gehabt hatte. Seitdem hatte sie vegetiert wie ein zwei- oder dreijähriges Kind. Daß ihre Eltern, ihre Geschwister existierten, wußte sie kaum noch. Christine Weinzierl, mit der sie nach wie vor das Verlies teilte, war nicht mehr für sie als ein gelegentlich wimmernder Schemen. Die Kapuziner, die zu ihrer Mitgefangenen kamen, waren Schatten. Selbst die Verhöre und die Foltern, die Katharina Grueber hatte ertragen müssen, waren letztlich wie Traumbilder an ihr vorübergeglitten. Gegenwärtig waren ihr allein noch Jörg, der Ahne, dazu die endlosen Litaneien, gegen die sie sich jetzt längst nicht mehr wehrte, von denen sie wachend und schlafend gewiegt und gelullt wurde.
Wenn aber Straßmayr zu ihr kam, wenn sein Predigerorgan sich in ihre Verballhornungen drängte, wenn das blitzartige Schlagen seines Augenlids sie traf, dann konnte Katharina aus ihrem Kleinkindsein aufschrecken, konnte dieses Lidsignal aus grabdunklen Augenhöhlen mit einem Aufblitzen ihres eigenen Bewußtseins erwidern. Sie konnte dem Jesuiten dann zuhören, konnte sogar einfache Gespräche mit ihm führen.
Dies geschah auch an jenem Dezembertag des Jahres 1691, an dem Straßmayr wiederum auf einem mitgebrachten Schemel vor der Verurteilten kauerte.
»Du hast die unerlösten Seelen im Fegfeuer gesehen«, sagte er, ohne darauf zu achten, daß Christine Weinzierl, eine Kettenlänge weiter, erschrocken zusammenfuhr. »Du weißt, wie es ist, wenn die Peinteufel tanzen, nicht wahr?«
»Wie die Geier! Ewig. Ewig …«, erwiderte Katharina. »Erlöß UnserSeelen!«
»Und du selbst willst doch auch erlöst werden, mein Kind?« Katharina nickte heftig. Ihr Auge bohrte sich ins Auge des Jesuiten.
»Wir müssen das Böse bestrafen, das in dir ist«, sagte Straßmayr. »Doch wenn du meine Hilfe annimmst, werde ich, mit Gottes Hilfe, deine Seele retten können, sie bewahren vor dem ewigen Höllenfeuer. Willst du darum beten mit mir?« Seine Augen bohrten.
»Jumpfengranz! Domkron!« wimmerte Katharina verzückt.
***
Während dies geschah, drückte sich draußen, in bereits anbrechender winterlicher Abenddämmerung, Kaspar Michel, ein Stück abseits der Fronfeste auf dem Haag, schutzsuchend gegen sein Pferd. Der Schnee hatte seinen wollenen Überwurf zuckrig gepudert und eisig verkrustet. Er fror grausam und suchte Hilfe bei seinem Gaul. Das Fell auf dessen Kruppe und Bug war ebenfalls vereist, aber der warme Atem half dem Pfleger, auf dem buschbestandenen und windgepeitschten Brachfeld auszuharren. Kaspar Michel spähte über die Donau, an deren jenseitigem Ufer – ein dunkler, herzbeklemmender Klotz – die Fronfeste lastete. Die wachsenden Schatten des schwindenden Tages waren bereits tief in das wuchtige Gemäuer eingedrungen. Kein Tageslicht mehr in der Tiefe der Fensterhöhlen, das Tor im Osten ein undurchschaubarer Schlund. Und tief drinnen in diesem steinernen Verhau, das wußte der Pfleger, die Verurteilten, Katharina. Nachdem ein Gnadengesuch an den Kurfürsten unbeantwortet geblieben war – vor einem Jahr schon – und Monate später ein zweites, hatte der Pfatterer Pfleger weitere Monate mit sich
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