Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
sein Onkel konnten sich jedenfalls vor Schmerz kaum fassen, als sie von seinem Tod erfuhren.«
»Und was willst du nun unternehmen?«, erkundigte sich Ursula. Sie trat Sophie unter dem Tisch. Herr im Himmel, sagte ihr Blick, es kann doch nicht so schwer sein, ein wenig zur Unterhaltung beizutragen.
»Ihn jagen, bis ihn sein gerechtes Schicksal ereilt.« Marsilius hob den Becher und prostete seiner Ehefrau zu. Sophie zwang sich zu einem Lächeln. Dieses Mal gelang es sogar, denn sie musste an das einzig Komische denken, was ihr in den Monaten, seit sie auf der Wildenburg lebte, widerfahren war: Marsilius hatte gar nicht begriffen, dass sein eigenes Weib dem Mörder den Weg in die Freiheit geebnet hatte. Man hatte sie am Tor fallen sehen – und angenommen, dass Marx sie niedergestoßen hatte. Sonst wäre ich jetzt tot, dachte sie, schwanger oder nicht. Denn auch wenn Marsilius so entspannt tat, als wäre die ganze Episode kaum das Tischgespräch wert, wusste sie, dass er den Flüchtigen mit tiefstem Hass verfolgte. Seine Wutanfälle, wenn ein weiterer Tag verstrichen war, ohne dass er den Mann zu fassen bekam, bewiesen, wie sehr ihn die Sache kränkte.
Er darf niemals erfahren, was ich getan habe, schwor sie sich, während sie an dem Wein nippte. Das musste auf ewig ihr Geheimnis bleiben.
Nach dem Essen, als Marsilius bei einem kränkelnden Pferd war und Mutter und Christine in Sophies Schlafkammer den kleinen Jürgen in den Schlaf sangen, zog Vater Franz seine Tochter in einen stillen Kräutergarten, der auf einem abgesenkten Gelände hinter der Scheune lag. Die Beete waren von einer dünnen Schneeschicht bedeckt, die von toten Pflanzen durchstochen wurde. Der Blick über das Mäuerchen war traumhaft. Man konnte meilenweit schauen.
Sophie hätte den Garten trotzdem am liebsten gleich wieder verlassen, denn hier war Ediths Reich. Es kränkte sie, dass Marsilius ihr selbst ein Blumengärtchen, um das sie ihn gebeten hatte, abschlug, der Frau aber dieses Stückchen Land überließ, um darin Kräuter zu ziehen. Wie immer, wenn sie an ihre Nebenbuhlerin dachte, erfasste Sophie tiefer Groll. Ediths Stimme hallte durch die Räume, wenn sie das Gesinde scheuchte. Ihre Kleider bleichten auf dem Rasen beim Brandweiher neben denen der Burgherrin … Sie sorgte unablässig dafür, dass die Burgbewohner sich daran erinnerten, wer die wahre Herrin der Wildenburg war.
Aber ich bin Marsilius’ Ehefrau! In plötzlich aufwallendem Zorn setzte Sophie sich auf die Bank, die an dem Mäuerchen stand. Sie tat absichtlich entspannt, während ihr Blick über die Felder und die zarten Silhouetten vereinzelter Bäume glitt, die sich im Glanz der untergehenden Sonne scharf gegen den Himmel abhoben.
Franz nahm neben ihr Platz und berührte ihren Oberarm. Sein sonnenverbranntes Gesicht war plötzlich sorgenvoll. »Also, wie ist es?«
»Bitte?«
»Behandelt dein Mann dich gut?«, fragte Franz unumwunden. Er war ein Mensch, der sich am liebsten im Freien aufhielt. Seine hagere Gestalt war muskulös, seine Haut wie Leder. Er besaß die Kraft eines jungen Burschen, obwohl er schon auf die fünfzig zuging. In den braunen Augen lag Zärtlichkeit. Gott, ich liebe dich, dachte Sophie ungestüm, und ihr Herz füllte sich mit Wärme. »Sicher tut er das«, log sie.
»Aber du lächelst nicht. Früher konntest du kaum den Mund halten. Was hast du geschwätzt! Du warst wild und hast über alles deine Scherze gemacht. Und nun?« Forschend blickte Vater ihr in die Augen.
Sophie zögerte. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen und losgeheult: Nimm mich mit nach Hause. Ich hasse das Ungeheuer, an das du mich verheiratet hast. Ich hasse das Kind, das ich bekommen werde. Aber was dann? Es gab keinen Grund, ihre Ehe aufzulösen. So etwas erlaubte die Kirche nur, wenn kein ehelicher Beischlaf stattgefunden hatte, weil der Ehemann dazu nicht in der Lage war. Dass Männer sich ihre Mägde ins Bett holten, war weit verbreitet. Sie würde ihren Vater nur unglücklich machen, wenn sie ihm beichtete, wie sehr sie ihr neues Leben verabscheute. Außerdem war sie inzwischen fast achtzehn Jahre alt – kein Kind mehr, das bei den ersten Schwierigkeiten zu Hause Schutz suchte. »Es ist nur die Übelkeit.«
»Ganz sicher?«
»Das Kind kommt nach mir. Es macht nichts als Scherereien«, scherzte sie.
Sie sah, wie ihr Vater sich entspannte. »Ich bin ein alter Kater, der sein Kätzchen nicht hergeben kann. Man sollte mir eins mit dem Knüppel
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