Die Hexe von Freiburg (German Edition)
linkes Bein waren sorgfältig verbunden. Sie fühlte weder Schmerz noch Angst, schwebte vielmehr weit über sich in einer unendlichen Leere. Ist das der Tod, fragte sie sich ungläubig. Doch dann hörte sie ganz in ihrer Nähe ein Ächzen. Sie war nicht allein.
Es dauerte eine Weile, bis sie sprechen konnte, denn Gaumen und Kehle waren ausgetrocknet.
«Ist da jemand?»
Keine Antwort. Nur das Rascheln der Ratten, die neugierig näher kamen und an ihrem Kleid knabberten.
«Wer ist da?»
Wieder das leise Ächzen, schließlich eine raue Stimme, die fragte: «Catharina?»
Ihre Freundin Margaretha! Sie wollte antworten, doch in diesem Moment kam der Schmerz mit einer solchen Wucht zurück, dass sie beinahe wieder das Bewusstsein verloren hätte. Gottergeben wartete sie, bis die Wellen verebbt waren.
Schließlich flüsterte sie: «Ja, ich bin es.»
Sie hörte der Stimme aus der Dunkelheit die Anstrengung an, die es sie kostete, zu sprechen.
«Catharina – Beate ist frei. Ihr Vater hat es geschafft, sie rauszuholen. Für uns –» Margaretha stöhnte erneut auf «– ist es vorbei. Anna Wolffartin ist auch hier, viermal aufgezogen, halb tot.»
Catharina flüsterte noch ein paar Mal Margarethas Namen, doch es kam keine Antwort mehr. Sie starrte in die Dunkelheit. Wieso sollte ihr Leben jetzt zu Ende sein? Es hatte doch eben erst richtig begonnen! Von draußen rief Christoph nach ihr. Ich komme gleich, warte noch einen Moment. Bald ist es Frühling, und dann legen wir uns in die Dreisamwiesen. Die sind gelb vom blühenden Löwenzahn. Und die Weiden am Fluss tragen ihr erstes Grün. Catharinas Augen brannten, doch sie hatte keine Tränen mehr. Sie vergrub ihr Gesicht in ihrer vom Angstschweiß getränkten Achselhöhle. Gütiger Vater im Himmel, lass mich nicht zu lange leiden.
«Wie weit seid Ihr mit Eurer Befragung, Doktor Frauenfelder?», wandte sich Renner an den Commissarius. Frauenfelder warf einen unsicheren Blick auf Textor und strich sich über sein spitzes Kinn.
«Die Mößmerin und die Stadellmenin haben bisher standhaft geleugnet. Die Wolffartin hat nach dem Aufziehen zunächst gestanden, ihre Aussage aber am nächsten Tag widerrufen.»
Textor sprang auf. «Und wenn sie doch unschuldig sind?»
«Ach was. Zäh wie Leder sind sie, das ist alles. In allen drei Fällen ist also eine verstärkte Tortur angebracht. Doch ich denke, das hat Zeit bis Montag.»
Renner nickte. «Auch recht. Wir haben morgen eine Kindstaufe in der Familie. Wie sieht es aus? Gehen wir zusammen essen? Der Bärenwirt hat frische Forellen.»
35
Als Catharina am Montag bei Tagesanbruch zur Fortsetzung der Tortur in den Keller gebracht wurde, zitterte sie vor Angst und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Doktor Frauenfelder schob ihr mit dem Fuß einen wackligen Schemel hin. Catharina setzte sich und legte ihre auf immer zerstörten Hände in den Schoß.
«Der Schreiber muss gleich hier sein, er ist noch wegen eines Gutachtens in der Fakultät», sagte Frauenfelder zu den beiden Schöffen. «Henker, erklärt der Hexe, wie es weitergeht.»
Die Richter nahmen Platz an ihrem Tischchen, auf dem ein großer Krug Wein mit vier Gläsern bereitstand.
«Wenn Ihr jetzt nicht gesteht, werde ich Euch aufziehen müssen», sagte der Henker. Dann fuhr er leise fort: «Unten auf der Straße hat mich ein Mann angesprochen. Er hat keinen Namen genannt, hatte aber auffallend blaue Augen. Er bat mich, Euch auszurichten, dass er immer in Eurer Nähe sei.»
Wimmerlin und der Sohn des Henkers traten ein. Frauenfelder stand auf und kam gemessenen Schrittes auf Catharina zu.
«Gesteht Ihr, eine Hexe zu sein und mit dem Leibhaftigen gebuhlt zu haben?»
«Ich bin unschuldig!»
«Bleibt Ihr dabei?»
«Ja, Euer Ehren.»
«Zieht sie aus und untersucht, ob sie Amulette oder sonstige Zaubermittel versteckt hält.»
Ungeduldig zog der Sohn des Henkers sie vom Schemel hoch und riss ihr die verschmutzten, von Ratten und Ungeziefer angefressenen Kleider vom Leib. Splitternackt stand sie da, schutzlos den Blicken von sechs Männern ausgesetzt. Spätestens in diesem Augenblick brach Catharinas Würde restlos in sich zusammen. Gott schien sie aufgegeben zu haben, zur Strafe für irgendein Vergehen, dessen sie sich nie bewusst gewesen war.
Ohne Widerstand ließ sie sich den Kopf scheren, dann Achseln und Schamhaare. Gleichgültig nahm sie die lüsternen Blicke des jungen Henkers wahr, als er ihr mit seinen rauen Händen erst die Hinterbacken, dann
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