Die Hexe von Freiburg (German Edition)
die Freiburger unglaubliche Dinge zu erzählen über diese Besenbinderin aus der Wolfshöhle, jenem düsteren Viertel unterhalb des Burgbergs, das man nach Einbruch der Dämmerung nur ungern durchquerte. Nun strömten die Menschen gaffend, mit offenen Mäulern zusammen, um die Verurteilte auf ihrem letzten Weg vom Kerker zum Richtplatz auf dem Schutzrain zu begleiten.
Gespannt warteten die Leute das Aufstöhnen der Gemarterten ab, um dann in lautes Grölen auszubrechen. Kaum einer der Zuschauer verspürte Mitleid, schließlich war diese Frau in einem ordentlichen Prozess überführt und verurteilt worden. Auf Geheiß ihres teuflischen Buhlen hatte sie auf der Gemarkung Kirchzarten in einem riesigen Kessel Hagel gesiedet und damit die frische Saat vernichtet, etliche Stück Vieh gelähmt und sich nächtens auf dem Kandel zum Sabbat eingefunden. Hinzu kam, dass sie eine Fremde war, eine ‹Reingeschmeckte› aus Basel. Hatte man sie dort nicht letztes Jahr wegen Zauberei aus der Stadt gejagt?
Die Hebamme schloss das Fenster, und das Geschrei des Pöbels wurde leiser. Im Hause des Marienmalers Hieronymus Stadellmen interessierte sich ohnehin niemand für dieses unerhörte Ereignis. Stadellmens junge Frau Anna lag in den Wehen, seit zwanzig Stunden schon, und verlor zusehends an Kraft. Das offene pechschwarze Haar klebte um ihr kalkweißes Gesicht, und die feinen wie von Künstlerhand modellierten Züge waren von Schmerz verzerrt. Es war ihre erste Geburt.
Verzweifelt ging Hieronymus neben dem Bett auf und ab, bis ihn seine Schwester Marthe hinausschickte.
«Du machst uns alle verrückt mit deiner Lauferei! Geh runter in deine Werkstatt und versuche zu arbeiten oder zu schlafen. Wir holen dich schon rechtzeitig.»
Die Hebamme warf ihr einen dankbaren Blick zu, als Stadellmen widerstrebend die kleine Kammer verließ, und massierte weiter mit der rechten Hand Annas riesigen gewölbten Bauch, während die linke vorsichtig zwischen den Schenkeln tastete.
«Der Kopf kommt. Ihr habt es gleich geschafft, Stadellmenin. Nehmt alle Kraft zusammen und presst!»
Im selben Moment, als draußen vor der Stadt über Anna Schweizerin die tödlichen Flammen zusammenschlugen, kam Catharina Stadellmenin endlich auf die Welt. Marthe kümmerte sich um ihre Schwägerin, die vor Schmerzen und Erschöpfung fast ohnmächtig war, während die Hebamme versuchte, dem veilchenfarbenen reglosen Säugling ein Lebenszeichen zu entlocken. Es war das längste Mädchen, das sie je auf die Welt gebracht hatte, dabei jedoch spindeldürr.
«Nun hol schon Luft», murmelte sie und klopfte mit der flachen Hand den verklebten Körper ab, mal stärker, mal schwächer. Schließlich hob sie das Kind an den Beinen in die Luft. Ein Krächzen entrang sich dem Neugeborenen, dann folgte ein markerschütternder Schrei, und die winzigen Fäuste ballten sich.
«Es atmet! Es lebt!» Marthe küsste ihre Schwägerin. Hieronymus stürzte herein und starrte erst den zappelnden Säugling, dann seine Frau an. Tränen der Erleichterung liefen über sein schmales, bartloses Gesicht.
«Es ist ein Mädchen, eine Catharina», flüsterte Anna und richtete sich vorsichtig ein wenig auf. Sie lächelte. «Hoffentlich bist du nicht enttäuscht.»
«Was für ein Unsinn», stammelte Hieronymus. «Mädchen oder Junge – das ist mir gleich. Außerdem werden wir noch viele Kinder haben. Sieh nur, es hat schon richtige Haare auf dem Kopf, so schwarz wie deine!»
Unterdessen hatte die Hebamme das Mädchen in ein wollenes Tuch gewickelt und seiner Mutter an die Brust gelegt. Sie bat Stadellmen, einen Bottich mit warmem Wasser aus der Küche zu holen. Aus Erfahrung wusste sie, dass Männer zwar die blutigsten Geburten durchhielten, beim Anblick der Nachgeburt jedoch die Fassung verloren. Ihrer Ansicht nach war die Geburt eines Kindes ohnehin Frauensache, Männer störten dabei nur. Während sie auf die Nachwehen wartete, sah sie wieder aus dem Fenster. Die Gassen der Schneckenvorstadt waren jetzt wie leer gefegt.
«Die Leute sind alle bei der Hinrichtung», sagte sie leise zu Marthe, die neben sie getreten war. «Ein solcher Geburtstag steht unter keinem guten Stern.»
«Seid still», fuhr Marthe sie an. «Wie könnt Ihr so etwas sagen!»
In den ersten Jahren ihres Lebens fehlte es Catharina an nichts, weder an Fürsorge noch an ausreichender Kost. Daran änderte zunächst auch die schreckliche Tatsache nichts, dass ihre Mutter zwei Jahre nach ihrer Geburt im Kindbett starb. Für
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