Die Hexe von Freiburg (German Edition)
her hörte sie die flüsternde Stimme des Wärters.
«Eigentlich ist es mir bei Todesstrafe verboten, das zu tun. Nehmt schnell und verratet mich nicht. Und vergesst nicht, das Licht zu löschen.»
Er gab ihr ein zusammengeknülltes Papier, stellte seinen Kerzenstumpf neben sie und entfernte sich schnell.
Sofort waren Catharinas Sinne hellwach. Sie hielt den Brief dicht an die Flamme und entzifferte die in aller Eile hingeworfenen Worte:
«Liebste Cathi, mein Ein und Alles! Es schmerzt mich, wenn ich daran denke, was dir zugestoßen ist, doch was sind meine läppischen Schmerzen gegen deine Qual und Ungewissheit. Du musst wieder Mut fassen, denn ich unternehme alles, damit du aus deinem Kerker unbeschadet freikommst. Ich habe eine Bittschrift eingereicht und werde alle Zeugen aufbringen, die für deine Unschuld aussagen können. Ich habe einen Boten nach Konstanz geschickt, vielleicht kann mein Schwager über die vorderösterreichische Regierung etwas erreichen. Und nicht zuletzt: Doktor Textor scheint, nach allem, was ich gehört habe, ein umsichtiger und gerechter Mann zu sein. Verzag also nicht! Ich bin ganz in deiner Nähe und werde es bleiben, bis du außer Gefahr bist. In größter Liebe und Zuneigung, dein Christoph.»
Catharina betrachtete den flackernden Schatten ihres Kopfes an der Wand. Nein, sie würde nicht aufgeben. Sie war nicht mehr allein.
Als Catharina am nächsten Tag immer noch nicht in den Christoffelsturm gebracht wurde, fragte sie sich, ob sie dies als gutes oder als schlechtes Zeichen deuten sollte. Sie konnte nicht wissen, dass diese Verzögerung mit Doktor Textor zu tun hatte. Der Commissarius geriet mit seinem Gewissen zunehmend in Bedrängnis.
«Werte Herren Kollegen, in aller Offenheit muss ich zugeben, dass ich Zweifel habe an der Schuld der mir zur Inquisition anvertrauten vier Frauen. Jede einzelne von ihnen hat mit aller Inbrunst und Überzeugungskraft geleugnet, sich jemals in Gesellschaft des Bösen begeben zu haben. Ihr Beteuern, dass sie fälschlich angegeben worden seien, scheint mir von Herzen zu kommen, und jede von ihnen ist bereit, sich diesbezüglich auch der härtesten Folter auszusetzen.» Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er die Unruhe im Kreis der anderen Richter spürte. «Ich bin mir bewusst, dass ich durch meine Bekanntschaft mit den Angeklagten, insbesondere mit Margaretha Mößmerin, möglicherweise befangen bin, und stelle daher den Antrag, dass zur weiteren Examinierung ein anderer Untersuchungsrichter eingesetzt wird.»
34
Das grelle Tageslicht blendete Catharinas Augen. Nach einer Woche in der Finsternis des Predigerturms ertrug sie die Sonne nicht mehr. Mit schweren, halb geschlossenen Augenlidern stolperte sie vorwärts. Sie war frei, doch sie erkannte ihre Stadt nicht wieder. Die Menschen wichen vor ihr zurück, ein paar Gassenbuben rempelten sie an und riefen ihr Spottnamen nach. Beinahe wäre sie vor die Räder eines Pferdekarrens gelaufen. «Weg da, verlauste Dirne», fluchte der Kutscher und schlug mit der Peitsche nach ihr. Dann fand sie sich vor dem Haus zum Kehrhaken wieder.
Michael wird mich beschimpfen, wenn ich in diesem Aufzug das Haus betrete, dachte sie und sah an ihren Lumpen hinab. Er wird mich schlagen. Nein, besser ich gehe nach Lehen, zu Tante Marthe. Zu Lene und zu Christoph.
Ihr wurde wieder speiübel. Seit zwei Tagen hatte sie Leibschmerzen und Durchfall von dem fauligen Wasser im Turm, in ihrem Kopf pochte das Fieber. Sie schwankte, doch bevor sie seitwärts in den Straßendreck rutschte, fing ein hilfreicher Arm sie auf. Blitzartig war sie wieder bei Sinnen, als sie erkannte, wer sie da am Arm hielt: derselbe Büttel, der sie eine Stunde vorher aus dem Turm gelassen hatte.
«Der kleine Spaziergang ist beendet», lachte er hämisch. «Ab in den Christoffelsturm, dort bist du besser aufgehoben.»
Nach einem vergeblichen Versuch, sich zu wehren, ließ sie sich abführen. Nur schemenhaft nahm sie die johlenden und feixenden Gesichter um sich herum wahr, während sie sich die Große Gasse entlangschleppte. Hie und da glaubte sie jemanden zu erkennen. War das nicht ihr Küfer? Und dort, vor der bunt bemalten Fassade des Basler Hofes, die Frau vom Storchenwirt? Schmerzhaft zog sich ihr Leib zusammen, dann spürte sie etwas Warmes an ihren von Flöhen und Wanzen zerbissenen Beinen herunterrinnen.
«Sie scheißt sich voll, sie scheißt sich voll!», kreischten die Kinder auf der Straße begeistert.
«Ich flehe Euch
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