Die Hexe von Hitchwick
fest, dass sich Abdrücke auf der schon geröteten Haut bildeten. Dann packten sie Hände und schüttelten ihren Körper, drängten sie dabei ins Haus.
„Was soll das?“, schrie Eves Mutter und ließ von ihr ab.
Jetzt erst erkannte sie die Frau, die vor ihr stand. Ihr Kopf glühte, ihre Wange brannte vor Schmerz, ihre Gedanken waren wirr.
„Ich …“, begann Eve, doch ihre Zunge wollte keine weiteren Worte formen.
„Was?“, fragte ihre Mutter streng.
„Ich … Ich bin eingenickt, als ich nach Hause kam, und habe schlecht geträumt.“
Eve blickte auf den Boden, ohne den Funken Hoffnung, dass ihre Mutter ihr glauben würde. Stille herrschte eine Zeitlang zwischen den Frauen.
„Geh und hol Wasser, ich werde dir einen Tee bereiten, du scheinst krank zu werden.“
Ungläubig sah Eve ihre Mutter an. Das konnte nicht sein, sie konnte ihr nicht glauben.
„Na, wird es bald!“
Eve öffnete den Mund, wollte etwas sagen, nur was sollte sie ihrer Mutter sagen?
Was wäre schlimmer, wenn ihre Mutter ihr nicht glauben, oder wenn sie ihr glauben würde?
Eve wusste es nicht und im Grunde war es auch egal, denn sie würde Stillschweigen bewahren. Erst einmal ausgesprochen, war die Angst frei, konnte sich noch schneller verbreiten, das ganze Haus vergiften. Schweigen war Gold.
Ihre Mutter war gnädig gewesen und hatte sie früh zu Bett gehen lassen, obschon es nicht früh genug war. Die Dunkelheit hatte sich längst ausgebreitet, war in jedes Haus, jeden Winkel gekrochen. Weder ihre Erschöpfung, noch die Schwere der Müdigkeit hatten ausgereicht, sie ins Reich der Träume zu geleiten, bevor die Angst ihre Arme um sie legen konnte.
Wieder wurde es eine Nacht des Wachens und Lauschens, des Schlummerns und Erschreckens. Obgleich nichts geschah, hatte Eve in abwartender Vorsicht verharrt. Immer und immer wieder war der Tag durch ihre Gedanken geschlichen, hatte sie nach Antworten gesucht für das, was geschehen war. Die Hitze, die Arme, die Stimme, konnten das alles Trugbilder ihrer verängstigten Phantasie gewesen sein?
Die andere Möglichkeit, die des real Erlebten, wollte sie nicht einmal andenken.
Es gab keine Hexen.
Nun saß sie kraftlos und erschöpft an dem großen, aus grobem Holz gezimmerten Tisch, vor sich eine Schüssel Porridge. Der zähe Haferbrei schien ein Ebenbild ihres Zustandes und der Situation. Schwer, zäh und trist.
Lange würde sie das nicht mehr durchstehen, wenn nicht die vermaledeite Hexe sie holte, dann würde sich der Wahnsinn ihrer bemächtigen. Womöglich war nur Flucht die einzige Rettung.
„Mutter, wäre es möglich, dass Ihr mich nach London schickt?“
Erstaunen zog über Eves Gesicht. Die Worte waren aus ihrem Mund gekommen und doch klangen sie fern und unwirklich, von fremden Zungen geformt.
Für einen kleinen Augenblick hielt die Mutter inne. Das Messer hatte kurz über der Möhre gestoppt, ihr Kopf hob sich ein wenig, dann hackte der kalte Stahl mit zu viel Kraft in das Gemüse und hinterließ eine tiefe Kerbe im Holzbrett.
„Nein!“
Ein Wort, nicht mehr und doch sagte es so viel. Es schienen mehr Worte zu sein, als in einer Sonntagspredigt enthalten waren.
Sie hatte Angst, so wie jeder im Dorf. Sie schützte sich mit Aberglauben, wahrlich ging die Angst aber nicht so weit, dass sie unnötiges Geld dafür ausgab. Gottesfürchtigkeit und Gehorsam waren die Dinge, die Eve Schutz geben würden.
Sollte es das Schicksal so wollen, gegen allen Glauben und Schutz, dann würde es geschehen.
Manchmal war es nötig Opfer zu bringen, ging es um das Wohl Vieler. Niemand wollte sein Kind verlieren. Allerdings wollte es auch niemand darauf ankommen lassen, herauszufinden, was geschah, wenn die Hexe kein junges Mädchen fand.
Übelkeit stieg in Eve auf, so stark, dass ihr schwindelig wurde. Hilflosigkeit, Angst und Einsamkeit mischten sich zusammen, bildeten einen Kloß in ihrem Hals, der ihr die Luft zum Atmen nahm.
War es beschlossen vom Dorf, ohne das jemand darüber geredet, oder gar abgestimmt hatte?
War sie die Opfergabe für die Hexe, damit sie vorbeizog, ohne noch mehr Schaden anzurichten?
Eine übermäßige Hitze ergriff ihren Körper, stieg in ihren Kopf. Es war nicht das brennende Feuer vom Vortag, es war eine fiebrige Hitze, die aus ihr herauskam und sie nicht einhüllte.
Die Übelkeit flachte etwas ab, wurde mit dem nächsten Herzschlag jedoch wieder schlimmer. Sie breitete sich in ihrem Magen aus, kroch die Speiseröhre hinauf. Das Porridge verschwamm vor
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