Die Hexe von Hitchwick
sie nicht einmal, in welcher Richtung London lag.
Wie sollte sie dort hinkommen?
Gwen war bereits in Bath, weder konnte Eve zu ihr, noch sie um Hilfe bitten.
Ein Spaziergang war vielleicht genau das, was sie brauchte, weniger aus gesundheitlichen Gründen, als viel mehr aus klärenden. Der Wind und die Kälte würden ihre aufgewühlten Gefühle abkühlen, ihre Gedanken zur Ruhe zwingen.
Die Luft war kälter als sie erwartet hatte, das tat gut. Die Gefühle wurden vom eisigen Wind betäubt, sie wurden zu einem stechenden Kribbeln in ihrem Kopf, ihrem Körper, sie fühlten sich an wie ihre Hände.
Langsam rieb Eve ihre Hände aneinander, es wärmte sie nicht, allerdings ließ das Kribbeln etwas nach.
Sie hatte sich schon ein ganzes Stück vom Haus entfernt, nährte sich dem Waldstrich, der das Ende des Dorfs markierte. Seit die Geschichten der Hexe durch die matschigen Straßen geisterten, hatte sie diesen Teil des Dorfs gemieden.
Der Wald war ein merkwürdiger Ort, schauerlich, besonders im Herbst, wenn die Bäume ihr Blätterkleid verloren und die Gebüsche ihre dünnen, kahlen Äste in das Zwielicht streckten, als seien sie knochige Finger von längst vergessenen Besuchern. Der Gedanke, die Straße, die durch das Dorf führte, entlang zu laufen, bereitete ihr solch eine Angst, dass ihr fast übel wurde. Jeder Mensch, der ihr begegnen konnte, war für Eve schauriger als der Wald mit seinen verborgenen Schatten.
Bilder erhoben sich, wie sie einige der ehrbaren Dorfbewohner traf, mit ihnen reden musste. Freundlich wären sie, würde sich nach ihrem Gesundheitszustand erkundigen und ihr eine baldige Genesung wünschen. Sobald sie sich dann auch nur drei Schritte von ihnen entfernt hätte, würden sich die Zungen spalten und böswillig hinter ihr her zischen. Das ertrug sie im Moment nicht. Von ihren Angstvorstellungen vollkommen eingenommen bemerkte Eve nicht, dass sie die erste Baumreihe schon hinter sich gelassen hatte. Erschrocken blieb sie stehen, hob den Blick vom Boden und sah sich irritiert um.
Obgleich die Baumkronen kaum noch Blätter trugen, lag der Waldboden in einem grauen Zwielicht. Knorrige Äste hoben sich dunkler von dem trüben Grau ab. Das war kein anheimelnder Ort. Eve wandte sich der Richtung zu, aus der sie gekommen war, und machte einen entschlossenen Schritt auf die Bäume zu, da hörte sie etwas.
Stimmen!
Instinktiv hielt sie den Atem an, blieb still stehen und suchte mit den Augen nach der Quelle. Die Stimmen wurden deutlicher, knirschende Schritte gesellten sich hinzu. Eve beugte sich ein wenig vor. Zwei Personen kamen auf sie zu.
Ohne darüber nachzudenken, drehte sich Eve um und wich zurück, tiefer in den Wald hinein. Wenn ihr kurzer Blick sie nicht getäuscht hatte, dann war eine der Personen Dr. Glenn gewesen, die andere war eine Frau, doch hatte sie nicht erkannt welche. Wollten sie zu ihr? Oder befolgte der Doktor seine eigenen Ratschläge und stärkte sich durch einen Spaziergang in der Kälte?
Wie auch immer, sie wollte niemanden begegnen und schon gar nicht reden. Würden sie ihrer Mutter einen Besuch abstatten, müsste sie noch früh genug Worte mit ihnen wechseln.
Die Stimmen wurden allmählich leiser, die Schritte waren so gut wie gar nicht mehr zu vernehmen. Eve wartete noch einen Moment, dann wollte sie zurück zum Waldrand.
Das war merkwürdig, sie hätte schwören können, dass sie sich nicht sehr weit vom Weg entfernt hatte, nur konnte sie ihn nicht sehen. Die Bäume standen dicht bei dicht, als sei sie mitten im Wald. Ihr Herz schlug ein wenig schneller, obschon sie sich dazu zwang ruhig zu bleiben. Sie hob ihren Rock eine Handbreit an, um besser über die Äste und das Laub steigen zu können und ging wieder in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Sie ließ Baum um Baum hinter sich, doch der Wald lichtete sich nicht und auch der Weg war noch immer nicht zu sehen.
Das konnte nicht sein!
Lief sie etwa in die falsche Richtung? Aber nein, sie war nur geradeaus gegangen.
Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte, nur noch beseelt von dem Wunsch diesen Wald zu verlassen.
Das Grau des Zwielichts wurde dunkler, die Äste waren nunmehr schwarze, schattenhafte Arme und Finger. Endlos schienen die Reihen an Bäumen.
Ihre Schritte wurden noch schneller, wäre es ihr möglich gewesen, Eve wäre gerannt. Baumwurzeln, Laub und heruntergefallene Äste erlaubten es ihr nicht, noch schneller voranzuschreiten. Selbst wenn es ihr möglich gewesen wäre zu rennen,
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