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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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von den Hunden, die Isebel auffraßen bis auf ihre Hände und Füße. Großmutter war nämlich Hugenottin gewesen, bis ihre Familie zur Konvertierung gezwungen wurde, und zum Ärgernis der restlichen Familie behielt sie den protestantischen Brauch des Bibellesens bei.
    Auf dem Rückweg nach unten durchquerte ich das Zimmer, in dem Onkel schlief, und sah nicht einen, sondern zwei Köpfe unter der Bettdecke hervorlugen. Onkels Gesicht war aufgedunsen, seine Augen waren gerötet; das Gesicht des Mädchens war völlig von ihren Haaren bedeckt, und sie hatte keine Nachtmütze auf. Onkel wurde von vielen als gutaussehend bezeichnet, aber sein schmales, fuchsartiges Gesicht und die überheblichen, hellen Augen über schrägen Wangenknochen hatten etwas, das mir nicht gefiel. Er besaß eine lasterhafte Zunge, die als witzig galt, und überdeckte mangelhaften Verstand, indem er jede Situation mit Redensarten würzte. Sein Lieblingssprichwort lautete: »Sofort handeln, nur Feiglinge müssen überlegen.« Die Frauen fanden ihn verwegen.
    Onkel erblickte mich, als er sich aus einer Karaffe auf seiner Nachtkonsole Branntwein einschenkte. Er wandte sich an seine Gefährtin und sagte laut: »Siehst du das? Häßliche Mädchen haben keinen Grund zu leben.« Und das Mädchen lachte, als er sie küßte. Mir war nicht danach zumute, ihn nach einem Mittwoch zu fragen. Onkel, der Bruder meiner Mutter, Jean-Baptiste de Saint-Laurent, nannte sich Chevalier de Saint-Laurent. Großmutter sagte, der Titel sei so falsch wie er selbst, aber was könne man schon von einem Wurm erwarten, der seinen Unterhalt durch Sündigen an den Spieltischen und Geldleihen bei Frauen bestritt. Er kehrte aus der Schlacht zurück und zog im Hause ein, während Vater in der Bastille war, und jetzt war es unmöglich, ihn wieder hinauszuwerfen. Er machte das Haus zu seinem Hauptquartier, wo Männer von zweifelhaftem, dem seinen gleichenden Charakter ihm ihre Aufwartung machten.
    So spähte ich mittwochs hinein, in der Hoffnung, etwas interessantes Sündiges wie Isebel mit den Händen und Füßen zu sehen, aber ich sah nur Erwachsene, die sich mit anmaßenden Namen anredeten, einander hitzige Dinge sagten und aus den guten Gläsern tranken, während Mutter ihr silbriges kleines Lachen lachte, das sie dem Mittwoch vorbehielt. Sie trug ihr enges Kleid aus violetter Seide, vorne sehr tief ausgeschnitten, und ihre goldenen Armbänder mit Diamanten. Es war dies die Zeit, da sie die Herren unter ihren Wimpern hervor von der Seite ansah; die Herren priesen ihre grünen Augen und rezitierten einen improvisierten Vers, der ihre Nase oder ihre Lippen verherrlichte. Es waren wenige Damen zugegen, keine so hübsch wie sie selbst, und zahlreiche Herren, die sich wie mein Oheim in Pluderhosen mit Spitzengeriesel an den Schienbeinen, bestickte Wämser und kurze Röcke ganz aus Seide kleideten. Sie redeten viel vom Glück beim bassette oder hoca – und darüber, wen der König am vergangenen Freitag angeblickt hatte. Sie gaben vor, von Mutter betört zu sein, bis auf ein Zeichen von ihr meine große Schwester Marie-Angélique errötend hereinschwebte. Fortan war sie die einzige, die sie ansahen. Alle wußten, daß sie aus der Klosterschule nach Hause kommen mußte, als Vater kein Geld mehr hatte – oder es vielmehr sparen mußte, damit mein Bruder am Collège de Clermont bleiben und Advokat werden konnte, um die Familie wieder reich zu machen. Aber Marie-Angélique war so schön, daß alle sagten, Mutter werde sie ohne Mitgift vermählen.
    »Zurschaustellung der Ware« nannte Vater das, wenn er sich mittwochs in seinem Studierzimmer einschloß und über die Römer las. Das tat er fast immer, wenn er zu Hause war. Dabei schnupfte er Tabak aus einem Silberdöschen, das Monsieur Fouquet ihm einst geschenkt hatte. Eigentlich wollte er nie mit jemandem reden, höchstens zuweilen mit mir.
    »Warum die Römer, Vater?« fragte ich ihn eines Nachmittags.
    »Weil sie, mein Kind, uns lehren, Leid in einer ungerechten Welt zu erdulden, wo aller Glaube tot ist«, erwiderte er. »Siehst du, hier? Epictetus zeigt, daß Vernunft die Welt regiert, da sie mit Gott identisch ist.« Er zeigte auf eine Stelle in dem Buch, das er las.
    »Ich kann das nicht lesen, Vater.«
    »Ach ja, natürlich«, erwiderte er auf seine geistesabwesende Art. »Niemand hat sich um deine Bildung gekümmert. Ich werde wohl selbst dafür sorgen müssen. Die moderne Erziehung ist ohnehin nichts als Geschwätz und taugt nur

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