Die Hexe von Paris
weißer Feder stieß sein Schwert gegen das Wams des Räubers. Der Grobian ließ mich fallen und floh mit der Drohung, mit seinen Freunden zurückzukommen.
Fazit Numero 2: Das unwiderstehliche Parfüm zieht Räuber an.
»Was tut ein kleines Mädchen wie du ohne Begleitung hier? Weißt du nicht, daß du getötet werden könntest? Komm, ich bringe dich nach Hause. Habe ich dich nicht aus der Maison des Marmousets kommen sehen?«
Fazit Numero 3: Das unwiderstehliche Parfüm zieht Mitgiftjäger an.
»Hihi«, lachte der blinde Bettler am Ende der Brücke. »Ich habe alles gesehen, sehr komisch, wirklich sehr komisch, Monsieur Lamotte.«
Fazit Numero 4: Das unwiderstehliche Parfüm macht Blinde sehend.
Vater hatte mir erklärt, daß ein disziplinierter Geist das wichtigste ist, was ein Mensch besitzen kann. An diesem Abend ruhten wir von den Stoikern aus und lasen Descartes' Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs.
»Beginne, wo wir aufgehört haben, im vierten Kapitel«, sagte Vater, »und dann erkläre, was gemeint ist.«
»›Alsbald aber machte ich die Beobachtung, daß, während ich so denken wollte, alles sei falsch, doch notwendig ich, der das dachte, irgend etwas sein müsse, und da ich bemerkte, daß diese Wahrheit ich denke, also bin ich so fest und sicher wäre, daß auch die überspanntesten Annahmen der Skeptiker sie nicht zu erschüttern vermöchten, so konnte ich sie meinem Dafürhalten nach als das erste Prinzip der Philosophie, die ich suchte, annehmen‹«, las ich. »Das bedeutet«, sagte ich, »daß im Einklang mit der geometrischen Beweismethode –«
»Schnf, schnf – was ist das für ein abscheulicher Geruch? Hier drinnen riecht es wie in einem Hurenhaus.«
»Ich habe keine Ahnung, Vater.«
Fazit Numero 5: Das unwiderstehliche Parfüm hat keine Wirkung auf Menschen mit klarem Verstand.
Ich beendete den Eintrag in mein geheimes Buch beim Licht eines Kerzenstummels. Dieses Parfüm eignet sich gut für Mutter, aber ich werde es nicht wieder benutzen. Am nächsten Morgen diskutierte ich mit meinem neuesten Tutor, einem hungerleidenden Studenten der Medizin, der in meine Schwester verliebt war, über die neue Theorie des Engländers Harvey: Das Blut werde vom Herzen, in Wirklichkeit schlicht eine Pumpe und keineswegs der Sitz der Gefühle, durch den Körper bewegt. Das zog sich bis zum Nachmittag hin, als Mutter die Zofe entließ – ein untrügliches Zeichen für einen weiteren vertraulichen Botengang.
»Meine Liebe, ich weiß, daß ich dir vertrauen kann.« Mutter wischte eine Träne fort, die auf ihrer Wimper zitterte.
»O ja, natürlich, Mutter.« Es war sichtlich ernst. Gewöhnlich verschwendete sie keine solche Zuneigung an mich.
»Kennst du den Damenschneider in der Rue Courtauvilain?« O ja, das ist der, bei dem eine Frau mit zuwenig Bargeld ein Darlehen auf ein Seidenkleid bekommen kann. Ein weiter Weg.
»Ich habe befohlen, die Pferde anzuschirren. Du wirst die Kutsche nehmen, und falls jemand fragt, du bringst diese Kleidermuster zurück. Ich möchte, daß du dies hier in dein Kleid steckst, wo es niemand sieht.« Sie hielt acht silberne Löffel vom Buffet in die Höhe – Großmutters Löffel. »Ich wünsche, daß du sie beleihst und mir das Geld so rasch wie möglich bringst. Der gute Hauptmann Legrand muß zu seinem Regiment zurück, und an wen könnte er sich wenden?« Wieder eine Träne. »Dein Vater war in alten Zeiten ein großzügiger Mann. Er hätte einen Edelmann niemals abschlägig beschieden. Aber heutzutage achtet er so scharf auf meine wohltätigen Ausgaben – dieser gräßliche Leibdiener –, du verstehst, wenn er es wüßte, es würde ihm das Herz brechen. Wir dürfen ihn nicht an seine Tragödie erinnern. Kein Wort, verstehst du?« Ihre Stimme gemahnte an den stählernen Klang eines Rapiers, das aus der Scheide gezogen wird.
Ich verstand. So begab ich mich in die Rue Courtauvilain zum Geschäft des Damenschneiders Mathurin Vigoreux, wo ich im Hinterzimmer mit seiner Frau wegen der Löffel verhandelte.
»Ich bringe sie zu Jeanne in der Rue Montmartre, gegen zweiundzwanzig Francs; sie kann das Geld abholen lassen«, sagte La Vigoreux, indem sie die Löffel an ihrer Schürze rieb und ins Licht hielt.
»Sie braucht das Geld sofort.«
»In diesem Fall muß ich damit zu jemand anders, und ich kann nicht soviel bieten«, sagte sie, wog die Löffel abermals in ihrer Hand und legte sie dann auf die schmierige Schürze über ihrem ungeheuer
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