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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Vaters Gesicht wies noch die Blässe von der Bastille auf. Er ward gezwungen, seine Anteile zu verkaufen – ein bloßer Mangel an Beweisen hatte ihn nicht gerettet. Doch ihm blieb eine kleine Leibrente, und er konnte das vom Vater ererbte Haus behalten, ebenso die meisten Möbel, indem er sie auf den Namen seiner Mutter überschrieb.
    Mutter ließ mehrere Horoskope erstellen, die auf die Rückkehr eines großen Vermögens hindeuteten, doch kehrte es ihr nicht rasch genug zurück. Es verdroß sie noch immer, daß das königliche Pardon Vaters Vermögen nicht wiedergebracht hatte; es war vom Rachen des stets gierigen Colbert verschlungen worden. Der König, meinte sie, hätte in Betracht ziehen müssen, daß sie mütterlicherseits beinahe eine Matignon sei, und ihr eine Zuwendung aussetzen sollen.
    »Immerhin«, verkündete sie, »ist es unvorstellbar, daß eine Familie wie meine, und sei sie auch noch so in Not, meine Heirat mit einem armen Mann Eures Namens arrangiert hätte, und nun hat mich Eure Mißwirtschaft in eine höchst unangemessene Lage gebracht. Es ist geradezu ungehörig für eine Matignon, so zu leben. Überdies habt Ihr mir meinen Mittwoch verdorben.«
    »Was ist ein Mittwoch?« fragte ich die Küchenmagd Suzanne nicht lange nach meiner Ankunft. Die alten steinernen Küchenwände waren feucht vom stets vor sich hinköchelnden Suppentopf, der in einer Ecke der enormen Feuerstelle hing. In einem Käfig gackerten und kreischten zum Abendessen bestimmte Hühner. An der offenen Küchentüre auf den sonnigen Treppenstufen döste ein Diener, der dort postiert war, um die Hungrigen fernzuhalten.
    »Ein Mittwoch?« entgegnete Suzanne, die immer mit mir sprach wie mit einer Erwachsenen. »Oh, hier, hilf mir mal halten – ja, so ist's recht.« Sie richtete das Gestell mit den Schnüren über dem Talg aus, aus dem bald Kerzen entstehen würden. »Ja, Mittwoch ist, wenn die vielen feinen Herren kommen, um Lügen zu erzählen und Karten zu spielen. Sie speisen und trinken zuviel! Wein – viel zuviel, meine ich. Doch wer fragt mich schon? Aber ich muß sagen, sie sind etwas seltener geworden, seit – du weißt schon.«
    Ich kletterte die Stiege von der Küche zu Großmutters Stube hinauf. Sie war immer da. Nie verließ sie das große Bett mit den schweren grünen Vorhängen. Dort »empfing« sie einmal in der Woche. Dann fand sich eine Prozession uralter Verehrer aus vergangenen Zeiten ein, zitternde Herren und Damen, die ihren verstorbenen Gatten gekannt hatten, und ihr Wundarzt, der regelmäßig kam, um den Zustand ihrer Gedärme zu untersuchen. Sie vertrat die Theorie, wenn die Tätigkeit der Gedärme erhalten werde, könne das Leben bis in die Unendlichkeit verlängert werden. Folglich verbrachte sie viel Zeit damit, diese wichtige innere Tätigkeit entweder zu erwarten oder zu analysieren. Nur skandalöse Neuigkeiten in geschmuggelten Flug- und Schmähschriften, libelles genannt, interessierten sie ebensosehr wie die Neuigkeiten vom Nachtstuhl. Wenn ich an die Türe klopfte, wiederholte Großmutters Papagei ihr »Herein!«, trippelte mit seinen gelben Füßen auf der Stange hin und her und sah mich über seinen krustigen gelben Schnabel hinweg mit schwarzen Äugelchen an. Mit einem rosa Gesicht statt eines grünen und mit einem Häubchen auf dem Kopf hätte er Großmutter nicht unähnlich gesehen.
    »Ah, bringst du mir mein Zichorienwasser? Komm her, setz dich aufs Bett und erzähle mir, was unten vorgeht.« Die Wände des Zimmers waren in altmodischer Manier bemalt, dunkelrot, in der Farbe von getrocknetem Blut, die Umrandungen in geometrischen Mustern in Gold gehalten. Die Fenstervorhänge waren stets zugezogen; Großmutter hielt die Sonne für ungesund.
    »Großmutter, was ist ein Mittwoch?«
    »›Mittwoch‹, ha! Das ist der Nachmittag, an dem meine verhurte Schwiegertochter ihren Busen vor aller Welt zur Schau stellt und mit Fremden liebäugelt. Sie nennt es ihren ›Salon‹ und verlangt, daß man sie mit ›Amérinte‹ anredet statt mit ihrem Taufnamen. So ein vornehmes Getue – nichts wie Karten und Hofklatsch, und dann und wann ein schlechter Poet, der sich an einem besseren Ort keinen Namen machen kann. Oh, der unselige Tag, als diese mit Armut geschlagene Parasitenfamilie sich an meinen Sohn heftete! Gib mir die Bibel von der Nachtkonsole, Geneviève, dann lese ich dir von Isebel, und was mit verruchten Weibern geschieht.« Und ich hörte etwas sehr Interessantes, Schauerliches aus der Bibel,

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