Die Hexe
Kornilows Beschattung kurzfristig hintan und machte sich daran, die Spur der dreisten Hacker zu verfolgen.
Als Jegor wieder zu Bewusstsein kam, fuhr der Ford, in den man ihn verfrachtet hatte, auf der linken Spur des Gartenrings in Richtung Krimbrücke. Die vier Entführer waren furchterregende Gestalten mit wulstigen Stiernacken und hatten betonharte Schultern – jedenfalls die beiden, zwischen denen Jegor auf der Rückbank eingeklemmt war.
Zum Erstaunen des Vizepräsidenten der T-Grad-Com wiegten sich die Kidnapper in völliger Sicherheit. Sie hatten es nicht einmal für nötig befunden, ihm einen Sack über den Kopf zu ziehen, und Bessjajew konnte in aller Ruhe die Sehenswürdigkeiten des modernen Moskaus genießen.
»Überrascht?«, erkundigte sich der Bandit auf dem Beifahrersitz.
»Worüber sollte ich überrascht sein?« Jegor zog die Augenbrauen hoch. »Oder bringt ihr mich zur Verkehrspolizei? «
»Nein, das nicht«, entgegnete der Bandit wiehernd. »Aber du hast Recht, es gibt keinen Grund, überrascht zu sein. Das kann schließlich jedem passieren.«
Auf der Ablage über dem Armaturenbrett lagen die bescheidenen Habseligkeiten des Vizepräsidenten – die Brille, ein kleines Mobiltelefon, die Brieftasche – und der Bandit untersuchte gerade den übrigen Inhalt seiner Tasche.
Im sinnlosen Bemühen, sich zwischen den Kleiderschränken an seiner Seite mehr Luft zu verschaffen, streckte sich Jegor und seufzte: »Weswegen habt ihr das gemacht?«
»Wegen der Kohle natürlich«, beschied der Rädelsführer auf dem Beifahrersitz. »Du bist schließlich kein armer Mensch, nicht wahr?«
»Stimmt«, räumte Jegor bereitwillig ein. »Aber ich bin auch nicht besonders reich. Ich bin nur ein Angestellter, die Firma gehört mir nicht.«
»Macht nichts.« Der Bandit räumte das Eigentum des Vizepräsidenten wieder in die Tasche zurück. »Keine Angst, wir werden keine unbescheidenen Forderungen stellen.«
»Ich habe keine Angst.«
»Der hat anscheinend wirklich keine Angst«, konstatierte der rechts neben Bessjajew sitzende Gangster ein wenig verwundert.
»So ist eben das Leben«, sagte Jegor achselzuckend. »Es ist so eine Art Spiel. Nicht besonders gut ausgedacht, aber immerhin spannend.«
»Scherzkeks!«
Der Vizepräsident versuchte abermals, sich mehr Platz zu verschaffen.
»Wie viel wollt ihr denn für mich haben?«
»Das geht dich nichts an«, antwortete der Rädelsführer knapp.
»Wieso geht mich das nichts an?«, entrüstete sich Jegor. »Schließlich muss ich doch bezahlen.«
»Deine Freunde werden für dich bezahlen. Die kannst du dann später fragen, wie teuer du warst.«
»Ach, ihr habt doch keine Ahnung!«, erriet Bessjajew. »Jemand hat euch beauftragt, mich zu verschleppen, und euch in die Einzelheiten überhaupt nicht eingeweiht, stimmt’s?«
»Wenn du nicht bald deinen Mund hältst, gibt’s nochmal eins auf die Mütze«, erwiderte Zorro gereizt.
»Nicht nötig.« Das Veilchen unter dem linken Auge des Vizepräsidenten schmerzte heftig. »Ich wollte doch nur wissen, wie viel ich wert bin.«
»Ziemlich viel«, antwortete der Bandit vage.
»Aber wie viel?«, insistierte Jegor. »Du persönlich zum Beispiel. Wie viel bekommst du für meine Entführung? «
»Halt die Fresse!«
Zorro wurde allmählich böse. Edik hatte ihn strikt angewiesen, Bessjajew kein Haar zu krümmen und ihn möglichst korrekt zu behandeln. Ein leicht zu erfüllender Auftrag, sollte man meinen. Entführte verhielten sich normalerweise demütig und schweigsam, um sich nicht selbst zu gefährden, und Zorro war davon ausgegangen, dass es auch diesmal so sein würde. Doch da hatte er sich getäuscht. Der geschwätzige Vizepräsident zeigte nicht den geringsten Respekt vor den breitschultrigen Banditen und schien seine Lage als vorübergehende Unpässlichkeit zu begreifen. Stimmte da irgendetwas nicht?
»Na gut, wenn du nichts sagen willst …«, winkte Bessjajew ab und wandte sich an seine Sitznachbarn. »Na, und wie viel hat man euch versprochen? Einen Hunderter pro Nase ?«
»Was geht dich das an?«, knurrte Zorro.
»Es interessiert mich eben!«
»Na gut, eine Million hat man für dich ausgelobt. Bist du nun zufrieden?«
»Eine Million für euch alle vier?«, fragte Jegor skeptisch.
»Genau.«
»Ich habe das Gefühl, dass du lügst«, sagte der Vizepräsident nachdenklich. »Aber sei’s drum.« Erhielt kurz inne. »Wenn ihr mir mein Handy gebt und mich einen Anruf machen lasst, bekommt ihr innerhalb
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