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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Erinnerungen hattest du nach deiner Rückkehr jedes Mal.«
    »An einen Ring. Eine Feuerblüte«, murmelte Ravenna und merkte kaum, was sie da sagte.
    Alptraumartige Erinnerungsfetzen spukten ihr durch den Kopf, knorrige alte Bäume, Stimmen, zuckender Flammenschein auf Steinsäulen und Mondlicht, das wie Quecksilber auf Metallschuppen glitzerte. Sie krallte sich mit den Fingern an der Stuhllehne fest und verharrte ein paar Atemzüge lang so. Sie hatte Angst, in den Sog dieser Bilder zu geraten, die sie nie erlebt hatte und die sich dennoch in ihr Gedächtnis fraßen.
    »Ravenna.« Yvonne schob ihr die Hand unter den Ellenbogen und half ihr behutsam auf den Stuhl. »Du bist ganz blass. Hier, trink einen Schluck Tee. Das wird dir guttun.«
    Benommen sah Ravenna zu, wie ihre Schwester zwei Tassen Tee aufbrühte. Sie hatte die Kräuter – Frauenmantel, Melisse und Weißdorn – selbst in den Flussauen gesammelt. Zumindest auf dem Gebiet der Heilpflanzen war Yvonne unbestreitbar eine Fachfrau. Rittlings nahm sie auf dem Stuhl Platz und legte den Kopf auf die verschränkten Arme.
    »Es tut mir leid«, murmelte Ravenna, während sie einen Löffel Honig in dem dampfenden Becher verrührte. Ein Lämpchen aus rotem Glas spendete ihnen Licht, und auf den Dielen erhärteten sich die Kerzenstummel. »Ich möchte dich nicht erschrecken oder dir und deinen Freundinnen in die Quere kommen. Du ahnst nicht, wie dankbar ich dir bin, dass du bei mir eingezogen bist, seitdem – du weißt schon.«
    Unbehaglich sah sie sich in der Küche um, wobei sie es vermied, einen weiteren Blick auf den verkohlten Ring auf dem Holzfußboden zu werfen. Der Raum war vollgestellt mit einer altmodischen, weiß gestrichenen Anrichte, Blumentöpfen mit üppig wuchernden Pflanzen und einem Regal voll brauner Apothekerflaschen, in denen sie Zucker, Kaffee, Reis und Mehl aufbewahrte. In jener Nacht war das Zimmer zur unentrinnbaren Falle geworden. Wochenlang hatte sie das Herzstück ihrer Wohnung nicht mehr betreten können, weil sie sonst immer wieder vor Augen hatte, wie sie damals dort auf dem Boden kauerte, weinend, verängstigt und verloren. Aber ein Fluch? Kaum merklich schüttelte sie den Kopf.
    Sie zuckte zusammen, als Yvonne ihr die Hand auf den Arm legte. Die Augen ihrer Schwester wirkten tiefblau und darin sah Ravenna zu ihrer Überraschung blanke Wut.
    »Dieser Kerl hat dich verletzt«, stieß Yvonne hervor. »Vielleicht hat er dich nicht angerührt, aber in der Seele hat er dich getroffen. Du leidest und weißt nicht einmal, weshalb oder durch wen, doch gegen diese Art von Leiden kann dir dein Psychiater nicht helfen. Auch wenn Kommissar Gress sagt, dass er nichts tun kann, solange keine neuen Hinweise vorliegen – wir können etwas unternehmen!«
    Aus der Hosentasche holte sie ein Säckchen aus violettem Samt. Es war mit einer Kordel verschlossen. »Das Ritual heute Nacht – das galt dir«, gestand sie. »Ich habe meine Freundinnen zusammengerufen, um die Macht des Fluchs umzuwandeln und für dich einen Schutzzauber zu wirken. In der Nacht vor Beltaine ist die Macht der Hexen am stärksten. Wir hatten dich bereits erwartet, denn auf dem Höhepunkt des Rituals wollten wir dir das hier geben.« Sie öffnete die Kordel und schüttelte einen Gegenstand in ihre Hand. Es waren drei aus mattem Silber gearbeitete Spiralen, die ineinander verschlungen waren und einen Knoten bildeten. Ein Triskel, alten, keltischen Mustern nachempfunden.
    Solche Amulette konnte man zu Dutzenden an den billigen, bunten Ständen an der Place de Broglie erstehen. Dort wurden Perlen gegen den Bösen Blick, Runenringe, Lederarmbänder, Anhänger mit Mondstein, Türkis und Lapislazuli sowie Samtstoffe und Kleider verkauft, die durchdringend nach Räucherstäbchen rochen. Auch die Frauenfigur mit den erhobenen Armen, die auf dem Fensterbrett stand, hatte Yvonne dort erworben.
    Ravenna presste die Lippen zusammen, um nicht zu verraten, dass sie wusste, woher das wertlose Schmuckstück stammte. Sicher meinte Yvonne es nur gut mit ihr.
    »Dieses Amulett zeigt den Weg zum magischen Wissen«, erläuterte ihre Schwester und fuhr mit dem Finger an den Spiralen entlang. »Kein leichter Weg, sondern ein Pfad voller Höhen und Tiefen, voller Irrwege und Sackgassen. Aber letztlich führt er zu einer höheren Weisheit, denn wenn wir ihn gehen, erkennen wir uns selbst im Spiegel der Magie.«
    Ravenna strich der Schwester das Haar hinter das Ohr und liebkoste ihre Wange. Yvonne war sicher

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