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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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und … na ja, die Einzelheiten willst du gar nicht wissen.« Mit diesen Worten reichte er Ravenna einen starken Draht, der um einen ausgedienten Meißel gewickelt war. »Da ist diese Figurengruppe am südlichen Portal: der Fürst der Welt und die sieben Jungfrauen.«
    Ravenna nickte. Sie kannte jede Einzelheit der Kathedrale, aus Plänen und Skizzen und aus eigener Anschauung. Sogar an der steilen Haube des Nordturms war sie schon herumgeklettert, in schwindelerregender Höhe. Von dort oben sahen die Passanten auf dem Platz wie bunte Ameisen aus.
    »Ich habe vorhin einen Anruf von Monsieur Pascal bekommen. Wir können die Originale nicht mehr retten, das haben die Aufnahmen mit der Messkamera ergeben, die wir letzten Monat gemacht haben. Die Figuren sind zu stark verwittert und müssen gegen Kopien ausgetauscht werden. Der Sandstein ist bröckelig geworden, so dass Gefahr für die Besucher des Doms besteht, wenn sie unter dem Portal in die Kirche gehen. Bevor wir die Statue des Fürsten abmontieren und in die Werkstatt schaffen, müssen wir sie mit Draht sichern, damit keine Teile abbrechen. Kannst du das für mich übernehmen?«
    »Klar, kein Problem.« Betont gelassen griff Ravenna nach der Spule. Insgeheim freute sie sich, dass Jacques ausgerechnet ihr diesen Auftrag erteilte. Schließlich gab es andere Kollegen mit mehr Erfahrung. Steinmetz am Münster zu Straßburg war ein harter Männerberuf. Täglich hantierte sie mit schweren Werkzeugen, Druckluftgeräten, Sandstrahlgebläsen, Gabelstaplern und jeder Menge Steinkleber. Andererseits musste sie in der Lage sein, mit dem CAD-Programm am Computer oder per Hand mit haarfeinen Bleistiftstrichen den Aufriss einer Fensterrose oder des Harfenmaßwerks zu erstellen und einen Quader aus Sandstein nach diesen Vorgaben zu bearbeiten.
    Anfangs hatten die meisten Kollegen die junge Frau belächelt, die darauf bestand, ebenfalls auf das Gerüst zu steigen und dieselben Arbeiten zu verrichten. Mittlerweile erntete Ravenna Anerkennung, wenn sie Stockeisen und Zweispitz ansetzte. Unter ihren Händen wurde der Sandstein lebendig und sie erschuf von neuem, was der Regen zerfressen hatte. Steinblöcke erhielten klare Gesichtszüge, Hände drückten sich in Gesten aus und historische Gewänder fielen in üppigem Faltenwurf zu Boden. Es war ein gutes Gefühl, von neuem entstehen zu sehen, was durch die Jahrhunderte verlorengegangen war, und manchmal, aber nur sehr selten, benutzte sie die Gabe.
    Yvonne hätte vermutlich schallend gelacht, wenn sie von diesem kleinen Geheimnis erfahren hätte, doch Ravenna behielt es für sich. Niemand wusste, dass sie, wenn sie ein Werkstück berührte, ein seltsames Kribbeln fühlte, eine Art schwachen, elektrischen Impuls. Wenn sie die Hand nicht zurückzog, sondern die Finger weiter über den Werkblock gleiten ließ, verwandelte sich das Kribbeln in einen stetigen Strom. Sie trat in einen Austausch, bis sich Stein und Fleisch durchdrangen, als ob sie ein- und dieselbe Materie wären, und sie fühlte genau, wie sie den Quader behauen musste. Ravenna hat einen siebten Sinn fürs Mittelalter, sagten die Kollegen von ihr und übertrugen ihr besonders knifflige Aufgaben. Ravenna wusste ganz genau, wie ihre Schwester diesen geheimen Trick genannt hätte: Magie.
    »Hey, Mädchen! Hörst du mir eigentlich zu? Oder denkst du gerade an deinen neuen Verehrer? Du sollst aufpassen, weil das Gerüst an dieser Stelle ziemlich schmal ist.«
    »Ein neuer Verehrer? So ein Quatsch!« Zornig waren Ravenna die Worte entschlüpft, ehe sie sich bremsen konnte.
    Als Jacques ihren Tonfall hörte, zog er die Augenbrauen hoch. Sein Gesicht war ebenso verwittert wie die Züge der Figuren, die ihn umgaben. Genau genommen sieht er wie einer der Wasserspeier aus, die ihre Grimassen zur Place de la Cathédrale hinunterstrecken, dachte Ravenna. Ein rothaariger Faun.
    »Also kein Verehrer? Es wird aber langsam Zeit, Ravenna. Eine junge Frau in deinem Alter sollte …«
    »Sollte was?« Ohne es zu merken, legte sie die Hand auf den Fäustel in ihrem Gürtel und beugte sich warnend nach vorn. »Was sollte ich deiner Meinung nach tun, Jacques? Sprich dich ruhig aus! Du scheinst mein Privatleben ja bestens zu kennen.«
    Der Steinmetz nahm seine Mütze ab und kratzte sich an der Stirn. Seine Finger waren dick und gekrümmt von der harten Arbeit. Unter den Nägeln saßen schwarze Trauerränder und am rechten Zeigefinger fehlte ein Glied – durch einen Unfall mit einer Steinfräse,

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