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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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nicht!«, stöhnte sie. Behutsam nahm sie den Käfer auf den Finger. »Gerade eben haben wir ihn doch auf die Fensterbank gesetzt! Sieben Punkte, siehst du? Ein echter Bote der Göttin. Mémé sagte von solchen Marienkäfern, dass sie vor Krankheiten schützen und böse Träume abwehren. Man darf sie auf keinen Fall verscheuchen.«
    Ob sie wohl auch böse Männer abwehren?, fragte Ravenna sich im Stillen. Neugierig sah sie zu, wie sich der Käfer an den Finger ihrer Schwester klammerte. Dann flog er auf und schwirrte in die Mitte des Kerzenkreises. Yvonnes Freundinnen starrten die Schwestern an, als hätten sie einen Spuk gesehen. Juliana kreischte als Erste auf, schnappte ihre Jacke und Schuhe und floh aus der Dachwohnung. Die anderen Mädchen folgten ihr Hals über Kopf, ohne sich die Zeit zu nehmen, ihre Schuhe wieder anzuziehen.
    Erneut kam der Marienkäfer einer Kerze gefährlich nahe. Ravenna setzte Merle zu Boden, blies die Flamme aus und fing den Käfer in den hohlen Händen. Die Katze maunzte und bot sich an, den Störenfried zu erledigen, aber Ravenna öffnete das Fenster einen Spalt und entließ den Käfer in die Freiheit. Dann kümmerte sie sich um ihre Schwester, die auf einem Stuhl am Herd zusammengesunken war.
    »Das habe ich vorhin schon gemacht«, jammerte Yvonne. Sie zog die Nase hoch und wischte sich über die tränennassen Augen. Ihr Zorn war verblasst. Sie wirkte erschrocken über ihre eigene Gabe. »Ich habe den Marienkäfer vor der Flamme gerettet und ihn an die frische Luft gesetzt. Ich dachte, das Fenster sei wirklich gut geschlossen. Aber jetzt, nur weil ich von ihm geredet habe …«
    Ein Schluchzen unterbrach den Wortschwall, Yvonnes Schultern zuckten.
    Ravenna gab ihr ein Taschentuch. Dann schritt sie den Kreis auf dem Küchenboden ab und löschte eine Flamme nach der anderen. Der Geruch der qualmenden Dochte erfüllte den Raum.
    »Ich verstehe nicht, warum du dich immer noch mit diesen drei Mädchen abgibst. Du hast ja gerade selbst gesehen, wie deine Hobby-Hexen vor echter Magie erschrecken«, meinte sie. »Offenbar hast du sie nicht vorgewarnt, dass Dinge, die du rufst, manchmal tatsächlich erscheinen.«
    »Ich habe den Käfer nicht gerufen«, protestierte Yvonne. Sie putzte sich die Nase. Merle saß vor ihr und leckte sich die Pfoten. »Obwohl – nett wäre es ja schon gewesen, wenn mitten bei der Zirkelmagie plötzlich ein Glückskäfer erscheint. Jedenfalls bin ich froh, dass ihm nichts passiert ist. Das wäre ein böses Omen gewesen. ›Wisse, dass nichts und niemand durch dein Tun verletzt werden darf.‹ So lautet das erste Gesetz der Hexen.«
    Zirkelmagie, böse Omen und Hexengesetze – Ravenna rollte mit den Augen. »Da hörst du es wieder: Dein Frauchen ist echt verdreht«, raunte sie der Katze zu. »Du solltest froh sein, dass unsere Küche nicht in Rauch aufgegangen ist«, fügte sie laut hinzu. »Das wäre erst ein böses Omen gewesen!« Als sie sah, wie sich Yvonnes Gesicht kummervoll verzog, nahm sie die Schwester in den Arm.
    »Du hast die Gabe unserer Großmutter geerbt«, versuchte sie die Jüngere zu trösten. »Zumindest hat man Mémé ebenfalls nachgesagt, Dinge rufen zu können. Aber das ist auch schon alles. Glaub mir, wir sind nicht mehr geschaffen für große Geheimnisse und Zauberei. Im Gegenteil, es ist gefährlich, wenn sich Unwissende an Rituale und Bannsprüche wagen. Das steht doch bestimmt auch in deinen schlauen Büchern.« Mit dem Knöchel klopfte sie auf die dicken, in Leder eingebundenen Bände, die sich auf dem zweiten Küchenstuhl stapelten. Sie trugen Titel wie: Der Wicca-Kult in Südengland , Handbuch des Aberglaubens oder Stonehenge – Mythos und Wahrheit . Die schwarze Katze nahm das Klopfen als Aufforderung und sprang zuoberst auf den Stapel. Ihre grünen Augen glühten.
    »Falls es je Magie gab, dann ist sie heute so gut wie erloschen«, fuhr Ravenna fort. »Viel wichtiger scheint mir dagegen die Frage, ob du Merle und die Kleinen heute Abend schon gefüttert hast.«
    Mit einem heftigen Ruck befreite sich Yvonne aus ihren Armen. »Wie kannst du so etwas sagen! Ausgerechnet du! Nur weil du deine eigene Gabe verleugnest, weil du nicht wahrhaben willst, was du durch Wort und Willen erschaffen könntest, muss das doch nicht für alle anderen gelten.«
    »Die Gabe.« Mit einem Ruck stand Ravenna auf. »Du meine Güte, Yvonne. Wenn du dich bloß hören könntest. Das ist doch reine Spinnerei.«
    Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie dadurch

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