Die Hexen von Eastwick
die Jungen einander die
Scheibe zu, ihre langen Haare flogen, und erst als Alexandra sich
absichtlich von dem kräftigen schwarzen Labrador durch das weite
Dreieck des Spiels ziehen ließ, hielten sie inne mit ihrem
unverschämten Gewerfe und Gegröle. Sie meinte, so etwas wie
«Schlampe» oder «Schlumpe» hinter ihrem Rücken zu hören, als sie
an den Jungen vorbeiging, aber es konnte auch eine akustische
Täuschung sein, ein Wellenschlag, den sie mißverstanden hatte. Sie
näherte sich der verwitterten Betonwand, die oben mit einer rostigen
Stacheldrahtspirale bewehrt war; der öffentliche Strand war hier zu
Ende, und immer noch gab es Knäuel von Jugendlichen und
Jugendsüchtigen; sie traute sich nicht, den armen Coal freizulassen,
der immer öfter würgte, weil sein Halsband ihn so einschnürte. Sein
Drang zu laufen schnitt ihr brennend die Leine in die Hand. Das
Meer war unnatürlich stil , in Trance, liniiert von milchigen Streifen
weit draußen, wo auf dem Resonanzboden der glatten Wasserfläche
ein einzelnes kleines Motorboot brummte. Auf der anderen Seite,
zum Greifen nah für Alexandra, krochen Stranderbse und
Heidegestrüpp von den Dünen herunter; der Strand wurde schmaler
hier, bekam etwas Intimes; man sah es an den Nestern von Dosen
und Flaschen und verbranntem Treibholz und den Brocken
zerbrochener Styroporkühlbehälter und den Kondomen, die wie
ausgetrocknete kleine Qual enleichen herumlagen. Die Betonwand
war mit verschlungenen Namen besprüht. Überal Entweihung, nur
die Fußspuren wurden weggewischt vom Meer.
An einer Stel e waren die Dünen so niedrig, daß man das Lenox-
Haus sehen konnte, aus einem anderen Blickwinkel und in größerer
Entfernung; die Schornsteine buckelten sich zu beiden Seiten der
Kuppel wie angewinkelte Bussardschwingen. Alexandra fühlte sich
gereizt und rachsüchtig. Ihr Inneres war aufgescheuert, wund, sie
ärgerte sich über das Schimpfwort «Schlampe», das sie vorhin
überhören wol te, und sie ärgerte sich überhaupt über die ganze
ungeheuerliche Beleidigung, die diese rücksichtslose Jugend ihr
zufügte, die sie daran hinderte, ihren Hund, ihren Freund und
Vertrauten, frei laufen zu lassen. Sie beschloß, den Strand für sich und
Coal zu räumen: ein Gewitter heraufzubeschwören. Das Wetter, das
man in sich hatte, stand immer im Verhältnis zum äußeren Wetter; es
ging einfach darum, den Spannungsfluß umzukehren, ein müheloser
Vorgang, sobald dem Urpol, den man als Frau in sich hatte, Kraft
zuteil geworden war. So viele von Alexandras ungewöhnlichen
Fähigkeiten waren darauf zurückzuführen, daß sie das ihr bestimmte
Ich wiedergewonnen hatte – erst jetzt war das geschehen, relativ spät
in ihrem Leben. Erst jetzt glaubte sie wirklich, daß sie das Recht habe
zu existieren, daß sie nicht nur ein nachträglicher Einfal der
Schöpfung war, nicht nur als Pendant erschaffen, aus einer krummen
Rippe, wie der infame «Hexenhammer» besagte, sondern als
Hauptstütze der fortdauernden Schöpfung, als die Tochter einer
Tochter und als Frau, deren Töchter wiederum Töchter gebären
würden. Alexandra schloß die Augen, Coal zitterte und winselte vor
Angst, und sie beschwor das unermeßliche Innere ihres Seins – diese
ununterbrochene Folge, die zurückreichte durch die Generationen der
Menschheit und der Primaten und, weiter zurück, der Echsen und der
Fische, bis zu den Algen, die in ihrem mikroskopisch kleinen
lauwarmen Innern die erste DNS des unwirtlichen Planeten brauten;
ein Kontinuum, das, in der anderen Richtung, sich bis ans Ende allen
Lebens wölbte: über pulsierende, blutende, der Kälte, den
ultravioletten Strahlen, der sich aufblähenden und dann schwächer
werdenden Sonne sich anpassende Erscheinungsformen hinweg –
diese so reichen Tiefen ihres Seins beschwor sie, sich zu verdunkeln,
zu kondensieren, ein Feld elektrischer Entladung zu erzeugen
zwischen hohen Wänden aus Luft. Und am Himmel im Norden
grol te es, leise, so daß nur Coal es hören konnte. Seine Ohren stellten
sich auf, bewegten sich unruhig, waren angespannt bis in die Wurzeln
unter der Kopfhaut. Mertalia, Musalia, Dophalia. In lauten,
unausgesprochenen Silben rief sie die verbotenen Namen an: Onemalia, Zitanseia, Goldaphaira, Dedulsaira. Alexandra wuchs ins
Riesenhafte, unsichtbar, wie in mütterlichem Zorn sammelte sie alle
Lichtgarben dieser sanften Septemberwelt ein, und ihre Augen
öffneten sich jäh, wie auf einen
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