Die Hexen von Eastwick
hatte eine kleine Kerbe im Kinn und eine kleinere
noch, kaum wahrnehmbar, in der Nasenspitze; sie war schön, mit
ihrer klaren, breiten Stirn, über der die graugesäumten Haarflügel
symmetrisch nach hinten gestrichen waren zum Zopf hin, und mit
den hellsichtigen, leicht vorstehenden Augen, deren metal isches
Blaugrau an die Peripherie der Iris gedrängt wurde, als sei jede der
beiden pechschwarzen Pupil en ein Antimagnet. Ihr Mund hatte
etwas Schweres, Plumpes und tiefeingeschnittene Winkel, so daß ihr
Gesicht immer aussah, als lächle es. Mit vierzehn hatte sie ihre
endgültige Größe erreicht, einseinundsiebzig, und sie hatte 120 Pfund
gewogen, als sie zwanzig war; jetzt mochten es etwas über 140 Pfund
sein. Als sie Hexe wurde, hatte sie sich befreit von der ewigen
Wiegerei.
So wie die kleinen Sandkrabben transparent waren auf dem
gesprenkelten Sand, war Alexandra, durch und durch naß, transparent
im Regen, eins mit ihm, seine Temperatur und die ihres Blutes waren
im Einklang miteinander. Der Himmel über dem Meer hatte sich
inzwischen zu horizontalen faserigen Streifen geordnet; der Donner
verebbte zu einem Grummeln und der Regen zu einem warmen
Nieseln. Dieser Wolkenbruch würde nie in die Wetterkarten
kommen. Die erste Krabbe, die sie zertreten hatte, bewegte noch ihre
Scheren, wie winzige, blasse Federn, die von einem Lufthauch berührt
wurden. Coal hatte seine Angst verloren und rannte: zog immer
weitere Kreise, stempelte die vierbal igen Abdrücke seiner Pfoten
zwischen die dreizehigen Möwenspuren, die feingeritzten Muster der
Strandläufer und die Pünktchenlinien des Krabbengekrabbels. Diese
Spuren anderer Lebensbereiche – Krabbe zu sein, seitwärts zu
trippeln, auf Zehenspitzen, die Augen an Stielen! Entenmuschel sein,
auf dem Kopf stehen, in einem kleinen Klappgehäuse, und sich die
Nahrung in den Mund kicken! – waren zerlöchert von Regentropfen.
Der Sand war vol gesogen, hatte die Farbe von nassem Zement. Ihre
Kleider und die Wäsche darunter klebten ihr gipsfeucht an der Haut,
sie hatte das Gefühl, eine Statue von Segal zu sein, aus reinem Weiß,
das Geflecht al der Röhren und Knochen in ihr wie von feinem
Nebel überhaucht. Alexandra schlenderte bis ans Ende des
leergeräumten öffentlichen Strandes, bis zur stacheldrahtbewehrten
Mauer und wieder zurück. Sie näherte sich dem Parkplatz und hob
die klatschnassen Espadril es auf, dort, wo sie sie hingeworfen hatte:
hinter einem Büschel Ammophila breviligulata. Die langen,
pfeilspitzen Halme funkelten, die Schneiden waren nachgiebiger
geworden im Regen.
Sie öffnete die Tür des Subaru, drehte sich um und rief laut nach
Coal, der in den Dünen verschwunden war. «Komm, Hündchen!»
sang die statiöse, üppige Frau. «Komm, mein Kleiner! Komm,
Engelchen!» Den jungen Leuten, die sich schmählich, gänsehäutig
und mit durchweichten, sandigen Handtüchern im Badehäuschen mit
dem grauen Schindeldach und unter der tomaten- und käsefarben
gestreiften Markise der Pizzabude fröstelnd aneinanderdrängten,
erschien Alexandra wundersam trocken, nicht eine einzige Strähne
ihres schweren Zopfes hatte sich gelöst, nicht ein einziger nasser Fleck
war auf ihrer brokatenen grünen Jacke. Unerklärbare
Wahrnehmungen dieser Art waren es, die bei uns in Eastwick Jas
Gerücht aufkommen ließen, daß Hexen ihr Wesen trieben.
Alexandra war Künstlerin. Ihr Werkzeug bestand aus wenig mehr als
Zahnstochern und einem Buttermesser aus rostfreiem Stahl; mit den
Fingern kniff und knetete sie kleine liegende oder sitzende Figuren,
immer Frauen, denen sie knal ige Kleider auf den nackten Leib malte.
Sie wurden für 15 oder 20 Dol ar in zwei Geschenkläden im Ort
verkauft, die «Zum Bel enden Fuchs» und «Das Hungrige Schaf»
hießen. Alexandra hatte keine klare Vorstellung, wer sie kaufte und
warum, und weshalb sie sie eigentlich machte oder wer ihr die Hand
führte. Die Gabe, Formen zu schaffen, war ihr zusammen mit ihren
anderen Kräften zugewachsen, damals, als Ozzie sich in farbigen
Staub verwandelte. Eines Morgens war der Impuls da: Sie saß am
Küchentisch, die Kinder waren in der Schule, das Geschirr war
gespült. An jenem Morgen hatte sie das Knetzeug eines ihrer Kinder
verwendet, aber bald kam für sie nur noch ein besonders reiner
kaolinartiger Ton in Frage, den sie in der Nähe von Coventry
gefunden hatte, im Garten einer alten Witwe; dort stach sie ihn sich
selber, in einer kleinen
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