Die Hexen von Eastwick
Lenox mehr im
South County gegeben; nur eine alte Witwe, Abigail, lebte noch im
verschlafenen, verwunschenen Dorf Old Wick; sie ging auf den
Wegen hin und her, vor sich hin murmelnd, sich duckend unter den
Steinwürfen der Kinder, die, wenn der Dorfpolizist sie verwarnte,
behaupteten, sie müßten sich gegen den bösen Blick der Alten
verteidigen. Die weiten Lenox-Ländereien waren längst parzelliert
worden. Einer der letzten männlichen Lenox hatte veranlaßt, daß auf
einer noch im Familienbesitz befindlichen Insel in den Salzmarschen
hinter der East Beach eine Backsteinvil a gebaut wurde, eine
verkleinerte, in dieser Gegend jedoch beeindruckende Nachbildung
der pompösen «Summer-Cottages», wie sie während des Goldenen
Zeitalters, um die Jahrhundertwende, in Newport errichtet wurden.
Ein Verbindungsdamm war gebaut und mehrfach mit frisch
herangekarrtem Schotter aufgeschüttet worden, aber bei Flut war das
Haus regelmäßig vom Festland abgeschnitten, und seit 1920 hatte es
eine wechselvol e Reihe von Besitzern erdulden müssen, die das
Anwesen nach und nach dem Verfal preisgaben. Die großen
Schieferplatten, mit denen das Dach gedeckt war, einige rötlich,
andere bläulichgrau, krachten, ohne daß es jemanden kümmerte, in
den Winterstürmen herunter und lagen wie namenlose Grabsteine im
langhalmigen Gespinst des ungemähten Sommergrases; die zierlich
geformten kupfernen Regenrinnen und Abdeckbleche wurden grün
und brüchig; die reich verzierte achteckige kleine Kuppel, von der
man in al e Himmelsrichtungen sehen konnte, kippte leicht nach
Westen; die massigen Schornsteine an den Seitengiebeln, aus denen
die Rauchabzüge wie gebündelte Orgelpfeifen oder starkmuskelige
Hälse ragten, brauchten Mörtel, Steine hatten sich gelockert.
Trotzdem, aus der Ferne bot das Haus immer noch einen imposanten
Anblick, hatte es etwas Gebieterisches, dachte Alexandra. Sie hatte ihr
Auto am Rand der Strandstraße geparkt und starrte über die Marsch
zu dem 400 Meter entfernten Lenox-Haus hinüber.
Es war September, Zeit der hohen Fluten; die Marsch zwischen dem
Festland und der Insel war an diesem Nachmittag ein ausgebreitetes
Tuch aus himmelfarbenem Wasser, bestickt mit den Spitzen des sich
golden färbenden Besengrases. In ein oder zwei Stunden erst würde
der Damm wieder passierbar sein. Es war kurz nach vier; diese Stil e,
der Himmel wie Stoff, von einer Schwere, die die Sonne zudeckte.
Früher war das Haus verborgen gewesen hinter einer Ulmenal ee, die
vom Damm hinaufführte zum Hauptportal, aber die Bäume waren
gestorben an der Ulmenkrankheit, die ausladenden Aste waren
abgehauen, nur die hohen Stümpfe standen noch da wie armlose
Männer, unförmig in Tücher gehül t, an Rodins Statue von Balzac
erinnernd. Das Haus sah abweisend aus: die symmetrische Fassade
mit den vielen Fenstern, die etwas zu klein wirkten, besonders im
dritten Stock, wo sie sich gleichförmig aneinandergereiht unterm
Dach hinzogen: der Dienstbotentrakt. Alexandra war einmal in dem
Haus gewesen; vor Jahren, als sie noch versucht hatte, sich wie eine
gute Ehefrau zu benehmen, hatte sie mit Ozzie im Bal saal dort ein
Wohltätigkeitskonzert besucht. Sie erinnerte sich kaum an etwas, nur
an endlose Zimmerfluchten, die kärglich möbliert waren und nach
Salzluft und Moder rochen und nach unwiederbringlichen Freuden.
Der Farbton des Schiefers auf dem verfal enden Dach verschwamm
mit einer im Norden aufziehenden Dunkelheit – nein, nicht nur
Wolken waren es, die die Atmosphäre beunruhigten. Dünner weißer
Rauch stieg aus dem linken Schornstein. Jemand war im Haus.
Der Mann mit den behaarten Handrücken.
Alexandras zukünftiger Liebhaber.
Eher ein Handwerker, entschied sie, oder ein Wachmann, den er
angestellt hatte. Die Augen taten ihr weh vom angespannten Sehen
über diese Entfernung hinweg. In ihrem Innern war Dunkelheit
aufgezogen, wie am Himmel, ein Gefühl, kläglich außerhalb zu
stehen. In al en Zeitungen und Il ustrierten war jetzt vom Aufbruch
der Frauen die Rede, das Verhältnis der Geschlechter untereinander
hatte sich umgekehrt: Mädchen aus guter Familie warfen sich diesen
vertierten Rockstars an den Hals, al diesen grünschnäbeligen,
unrasierten Gitarristen aus den Slums von Liverpool und Memphis,
denen irgendwie obszöne Macht gegeben war, dunkle Sonnen, die
diese Kinder aus behütetem Haus in selbstmörderische Orgiasten
verwandelten. Alexandra dachte an ihre Tomaten, an
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