Die Hexenadvokatin
Stunden tasten wir uns an den Kern der Sache heran. Eigentlich handelt es sich nur darum, wem die Herren mehr Glauben schenken sollen, Eurer Tochter, oder dieser angeblich so sittsamen Jungfer Constanze. Es fällt einigen der Anwesenden offenbar schwer, sich vorzustellen, dass eine junge Dame aus hochadligem Hause sich Derartiges auszudenken vermag.«
»Oh! Da kann ich vielleicht tatsächlich helfen«, warf Eleonora aufgeregt ein.
»Mir ist nämlich mittlerweile so einiges über das Täubchen zu Ohren gekommen. Nicht nur mein Gemahl, auch ich habe meine Zeit nutzbringend darauf verwendet, mich bei Freundinnen und Bekannten zu erkundigen. Ich begleite Euch sofort zu unseren Gästen, Pater. Die Herren werden Augen machen, was ich ihnen von dem feinen Fräulein zu berichten habe. Und dafür habe ich auch eine einwandfreie Zeugin, die bereit ist, das Gesagte zu beeiden.«
»Gott segne Euch, Gräfin.« Pater Winfried schmunzelte. »Das ist genau das, was wir jetzt brauchen.«
Alberta, die sich an diesem Gespräch nicht beteiligt hatte, blickte dem Pater und ihrer Mutter sorgenvoll hinterher, als diese das Zimmer verließen, nicht ohne ihr zuvor noch einen betont aufmunternden Blick zuzuwerfen. Dann war sie wieder mit ihrer Furcht allein. Sie fröstelte, zog das Wolltuch, das sie sich übergeworfen hatte, enger um ihre Schultern und blickte in düsterer Stimmung in die sternenklare Nacht hinaus. Vor allem das Ausharren brachte sie fast um den Verstand. Schon seit Tagen grübelte sie, ob es nicht irgendetwas gäbe, das sie selbst zu ihrer Rettung beitragen könnte.
Während der Benediktinerpater und Eleonora durch die Korridore zum Großen Salon schritten, vorbei an Gemälden, die etliche der Ahnen aus beiden gräflichen Familien zeigten, entfuhr dem Mönch die Bemerkung: »Ist Euch eigentlich schon aufgefallen, Madame, dass bis auf Paul Andreas, Freiherr zu Wolkenstein, sämtliche Geheimen Räte, die Euer Gemahl hergebeten hat, Bürgerliche sind? Kein einziger der Herren ist von hohem Adel.«
»Das war ja auch der Grund, warum mein Gemahl wünschte, dass unser Sohn Rupert an den Hof gehen und dort als Berater des Herzogs Einfluss gewinnen sollte«, gab die Gräfin zur Antwort. »Der bayerische Adel ist in der Residenz eindeutig unterrepräsentiert.«
»Wir müssen aber leider damit rechnen, Madame, dass einige der Herren es vielleicht nicht so ganz ungern sähen, wenn ein Mitglied des Adels - in diesem Falle Alberta - wieder vom Hof verschwinden würde. Möglicherweise möchten die Bürgerlichen gerne unter sich bleiben? Ich hoffe sehr, dass dem
nicht so ist - aber ganz aus dem Auge sollten wir diesen Gesichtspunkt nicht verlieren, Gräfin.«
25. Januar 1612, in Constanzes Klosterzelle
Die Lage Constanzes hatte sich von Tag zu Tag verschlimmert. Alleingelassen in ihrer Zelle - die Jesuitenpatres kamen nur noch ein- oder zweimal wöchentlich und zu ganz unregelmäßigen Zeiten - langweilte sie sich unsäglich. Für wen sollte sie sich selbst blaue Flecken und Verletzungen beibringen? Sogar der gutmütige Kapuziner ließ sich nur noch selten blicken.
Diese Langeweile, verbunden mit Angst und exzessivem Fasten, erzeugte bei ihr allmählich immer abstrusere Wahnvorstellungen. Was sie sich seit langer Zeit nur ausgedacht hatte, nahm für sie im Laufe der gleichförmigen Tage und Wochen immer realere Gestalt an. Das Schlimmste aber war die schreckliche Ungewissheit: Glaubten ihr die Inquisitoren - oder nicht?
Es gab niemanden, den sie danach fragen konnte und das zerrte an ihren ohnehin bis zum Zerreißen gespannten Nerven. Sollte sie weitermachen mit ihrem gut einstudierten Spektakel oder war es besser, es allmählich ausklingen zu lassen? Dieser vernünftigen Überlegung standen ihre sich zunehmend verfestigenden Halluzinationen im Wege. Am Ende glaubte sie ihre absurde Geschichte allmählich selbst …
Unvermittelt kamen ihr in jener Nacht die Tränen. Das geschah jetzt häufig. Unwillig wischte sie diese mit dem Ärmel ihrer Kutte von den Wangen und fuhr fort, ihren linken Handrücken gegen die Kante des hölzernen Betstuhls zu schlagen.
Das verursachte wirkungsvolle blaurote Male und machte sich gut, wenn jemand ihre Blessuren zu sehen wünschte.
Das Dumme war nur: Es kam keiner mehr.
Gerade als Constanze das dachte, brachte ein Geräusch sie dazu innezuhalten: Sie wandte ihren Kopf in Richtung Tür und was sie dort erblickte, ließ ihr den Atem stocken: Auf einmal stand ihr - Graf
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