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Die Hexenadvokatin

Die Hexenadvokatin

Titel: Die Hexenadvokatin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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weltlichen Herren dienstbar zu sein. Ohne dass sie ein Wort darüber verloren, waren sie sich einig, dass die zu so ungewöhnlicher Zeit
stattfindende Audienz beim Herzog mit der gräflichen Novizin im Franziskanerinnenkloster zu tun haben musste.
    Beide schritten zügig aus. Der mit einer Laterne ausgestattete Trabant leuchtete den Inquisitoren den Weg aus; so bestand keine Gefahr, dass die geistlichen Herren etwa in eine der zahlreichen Baugruben fielen, welche die unmittelbare Umgebung der Residenz in der Dunkelheit so gefährlich machten.
    Es war still im nächtlichen München. Das Einzige, was sie hörten, war das heisere Kläffen eines Hundes. Aus der Richtung des Neuhauser Tores fiel ein zweiter ein, verstummte aber nach einem wehklagenden Aufjaulen gleich darauf - wahrscheinlich nach einem Fußtritt seines entnervten Besitzers.
    In Sichtweite der Residenz begegneten sie dem städtischen Nachtwächter mit seiner großen Laterne. Leise begrüßten sich die Männer. In der Linken hielt der Wächter eine Lanze gegen etwaige Angreifer. Aber wer sollte diesen Mann schon attackieren? Jeder Spitzbube, der einigermaßen bei Verstand war, ging ihm aus dem Weg und verbarg sich hinter einer Hausecke, bis der Nachtwächter vorübergegangen war, ehe er sich erneut hervorwagte, um seinen verbotenen Geschäften ungestört nachzugehen.
    Falls dem Nachtwächter - der hauptsächlich darauf achtete, dass kein Feuer in der überwiegend aus Holz gebauten Stadt ausbrach - hin und wieder ein Betrunkener vor die Füße torkelte, ermahnte er diesen, leise seines Weges zu gehen und sich schleunigst nach Hause zu scheren.
    Nur besondere Krakeeler verfrachtete er »ins Loch« unter dem städtischen Rathaus, um sie dort bis zum frühen Morgen ihren Rausch ausschlafen zu lassen. Zumeist jedoch herrschte absolute Ruhe in der Residenzstadt Herzog Maximilians. Bettler,
angebliche Pilger, selbsternannte Heiler und andere arbeitsscheue Gestalten hielten sich des Nachts wohlweislich in ihren Schlupfwinkeln auf, um nicht ihre Einkerkerung und die anschließende Ausweisung aus München zu riskieren. Die Behörden verfuhren äußerst unnachsichtig mit zwielichtigen Personen - was die Hauptstadt nicht unerheblich von anderen Städten des Landes unterschied.
     
    Den Fußmarsch der Spanier begleitete das leise Jaulen des Föhnwinds, der von den Alpen herunterstrich und warme Luft aus dem Süden mit sich brachte. Für Ende Januar waren die Temperaturen viel zu mild; der ganze Winter war eigentlich ein verlängerter, nasskalter Herbst gewesen.
    Die Menschen sahen dies als Vorzeichen, dass auch der folgende Sommer kein »richtiger« sein würde, sondern ihnen - verregnet und kühl wie die letzten Jahre und Jahrzehnte - auch dieses Jahr wieder eine Missernte bescheren würde. Leider war es eine Tatsache, dass man seit dem 14. Jahrhundert von einer »Kleinen Eiszeit« sprechen musste; aber seit dem Jahr 1580 fielen die Ernten geradezu katastrophal schlecht aus.
    Die Menschen mussten hungern, weil Frühjahr, Sommer und Herbst zu kalt und vor allem viel zu nass waren. Jedes Jahr vergrößerte sich die Schar derer, die den Winter über verhungerten, weil sie sich die knappen und daher sündhaft teuren Lebensmittel nicht mehr leisten konnten. Dennoch wuchs die Bevölkerung weiter rapide an. Kein Wunder, dass die Bauern und die armen Städter angefangen hatten, nach »Schuldigen« für die Missernten zu suchen.
    Vor dreihundert Jahren, als der »Schwarze Tod« in Bayern zum ersten Mal richtig gewütet hatte, war es noch einfach gewesen: Man hatte in den Juden die Verursacher der tödlichen
Krankheit gesehen, indem man ihnen unterstellte, die Brunnen vergiftet zu haben. Welch eine Gelegenheit, sich missliebige Konkurrenten und nicht selten Gläubiger vom Hals zu schaffen (dass die Juden dasselbe Wasser tranken wie die übrigen Bürger und genauso elend an der Seuche starben, schien niemanden stutzig zu machen).
    Inzwischen hatten die bayerischen Herzöge die »ketzerischen« Hebräer weitgehend aus dem Land vertrieben.
    Auch Maximilian tat sein Möglichstes, um die Kinder Israels von Bayerns Grenzen fernzuhalten. Falls ein jüdischer Händler sein Herrschaftsgebiet unbedingt als Durchgangsland nützen wollte, war er dazu angehalten, sich auf dem schnellsten Weg wieder aus Bayern zu entfernen. Kein Jude durfte offiziell Geschäfte mit Einheimischen tätigen.
    Jeder Hofmarksherr, Rentmeister, Dorfschultheiß oder Stadtwächter war verpflichtet, streng darauf zu

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