Die Hexenadvokatin
Rupert leibhaftig gegenüber. Das Licht der Kerze, das den Raum nur schwach erleuchtete, flackerte unruhig und ließ die Ecken der Zelle immer wieder in tiefe Schatten versinken.
Eine ganze Weile starrte sie die vollkommen reglose Gestalt an und hoffte, nicht in Ohnmacht zu fallen.
»Wi… wi… wie seid Ihr nu… nur hier hereingekommen?«, stotterte die totenbleiche Novizin schließlich und wich erschrocken an die Wand zurück. »Ihr seid doch in Italien und niemand würde Euch zu mir vorlassen. Nicht einmal meinem Vater ist es gestattet, mich aufzusuchen!«
Aber der unerwartete Besucher antwortete nicht. Er stand nur da und musterte sie mit glühenden, zornerfüllten Augen. Auf den Gedanken, um Hilfe zu rufen, kam Constanze überhaupt nicht. Sie war immer noch wie gelähmt und ihr Gehirn schien blockiert. Minuten vergingen, ohne dass das Mädchen oder der junge Mann sich bewegten.
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte sie endlich; ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen. Alle Kraft wich von ihr und ihre Knie gaben nach. Mit dem Rücken rutschte sie am rauen Putz der Wand entlang zu Boden, wo sie auf den Fersen kauernd verharrte. Verängstigt blickte sie hoch zu dem Mann, gegen den sie ihre absurden, möglicherweise todbringenden Vorwürfe erhoben hatte.
»Weshalb habt Ihr so schamlos gelogen und Euch diese schmutzigen Dinge ausgedacht, Gräfin?«, wollte der nächtliche
Besucher wissen. Seine Stimme klang merkwürdig dumpf. Constanze brach in Schluchzen aus und senkte demütig ihr Haupt mit der weißen Novizinnenhaube; dennoch spürte sie, wie der Blick seiner starr auf sie gerichteten Augen sie durchdrang.
»Sprecht! Warum in aller Welt habt Ihr das getan? Was ist der Grund dafür, dass Ihr mich vernichten wollt?«
Sie sah auf. Selbst wenn Constanze gewollt hätte, wäre es ihr nicht möglich gewesen, zu antworten. Ein Weinkrampf schüttelte sie so sehr, dass sie zu keiner Entgegnung fähig war. »Ich bin verrückt geworden«, dachte sie entsetzt und hielt furchtsam ihren Blick auf den Eindringling gerichtet. Der Schemen in Gestalt des Grafen sah jedoch keine Veranlassung, Mitleid mit der gefährlichen Lügnerin zu zeigen.
»Ihr wisst genau, dass alles erfunden ist, was Ihr über mich verbreitet habt. Ihr solltet endlich in Euch gehen und beichten; und anschließend öffentlich zu der Wahrheit stehen, dass Ihr mich grundlos verleumdet habt und meinen guten Ruf aus reiner Bosheit zerstören wolltet. Oder möchtet Ihr seelenruhig zusehen, wie man mir einen Hexenprozess macht und mich unschuldig auf den Scheiterhaufen schickt? So grausam könnt Ihr doch nicht wirklich sein!«
Constanzes einzige Reaktion war haltloses Weinen. Sie wagte es jetzt nicht einmal mehr, den Blick zu heben. Die Hände vors Gesicht geschlagen, hockte sie an die Wand gedrückt am Boden und schluchzte zum Gotterbarmen. Nach einer guten Weile, als sie nichts mehr von ihrem Besucher hörte, ließ sie langsam die Hände sinken und wagte einen zaghaften Blick in die Höhe. An der Stelle aber, an der Rupert eben noch gestanden hatte, war … niemand.
Flink ließ Constanze ihre verheulten Augen in der kleinen Zelle umherwandern: Sie war tatsächlich allein. Sie sprang
auf; und da ihr von der plötzlichen Bewegung schwindlig wurde, ließ sie sich mit einem allerletzten Aufschluchzen auf ihr Bett fallen. Im nächsten Augenblick war sie, erschöpft durch die nervliche Anspannung, eingeschlafen. Als sie nach Stunden erwachte, fiel ihr das Geschehene sofort wieder ein.
Sie grübelte eine Weile, dann kam sie zu dem Schluss, dass sie einer Sinnestäuschung erlegen sein musste, einer durch Schlafmangel und Fasten hervorgerufenen Halluzination.
KAPITEL 44
25. Januar 1612, in der Münchener Residenz beim Herzog
AUCH HERZOG MAXIMILIAN erlebte eine unruhige Nacht. Er hatte die Jesuitenpatres Federigo de Morales und Manuel de Silva-Esteban zu später Stunde zu sich gebeten. Beide logierten während ihres Münchner Aufenthalts in dem von Herzog Wilhelm V. gestifteten Jesuitenkloster, direkt neben der prächtigen Kirche des heiligen Michael.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht tauchte ein Bote an der Klosterpforte auf und teilte dem Mönch, der den Pförtnerdienst versah, den Wunsch des Fürsten mit, die beiden spanischen Ordensleute möchten sich umgehend in die Residenz begeben.
Falls die Patres sich über den Zeitpunkt wunderten, ließen sie sich davon nichts anmerken. Sie benötigten wenig Schlaf und waren stets bereit, ihren geistlichen oder
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