Die Hexenadvokatin
verschwinden?«
»Es wäre sehr schwierig!« Alberta war verblüfft. »Aber weshalb sollte ich das tun, Herr Wölfflein? Trachtet mir vielleicht jemand nach dem Leben?« Beim letzten Satz ließ sie ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht huschen. Die ernste Miene des älteren Mannes war jedoch nicht dazu angetan, einen bloßen Scherz zu vermuten.
»Ich verstehe. Ihr wollt mir eine Warnung zukommen lassen, Herr Wölfflein. Doch welcher Art ist die Bedrohung, die es erforderlich machte, ohne Genehmigung des Herzogs die Stadt zu verlassen?«
Erneut winkte der Hofnarr sie näher zu sich heran. Das laute Rauschen des sich in die Marmorschalen ergießenden Brunnenwassers verhinderte beinahe, dass die Gräfin die leise gesprochenen Worte Wölffleins verstehen konnte.
»Der Herzog hat eine ganz besondere Überraschung für Euch, mein lieber Graf! Er wird Euch in wenigen Minuten einen Vorschlag machen, den Ihr unmöglich annehmen könnt, mon Cher! Ihr sollt nämlich …«
Jetzt beschirmte der Zwerg gar noch seinen Mund mit einer Hand und Alberta ging automatisch in die Knie vor dem kleinen Mann, um mit diesem auf Augenhöhe zu sein.
»Nein!« Sie schrie förmlich auf. Erschrocken über ihren Ausbruch presste sie sich die Finger auf die Lippen. Alles, nur das nicht! Hatte sich denn das grausame Schicksal ganz gegen sie verschworen? Beim Aufrichten taumelte sie und der Narr hielt ihren Arm mit überraschend festem Griff.
»Die Frage, ob Ihr Euch sicher seid, kann ich mir wohl ersparen, lieber Freund«, murmelte die Edeldame nach einer
Weile wie betäubt. » Dieses Angebot des Herzogs kann ich wahrlich auf keinen Fall annehmen!«
»Das weiß ich und daher kam ich her, um Euch - sozusagen in letzter Sekunde - zu warnen, Graf. Überlegt Euch Eure Schritte gut, mon Ami.«
Und ehe Alberta sich’s versah, war der Zwerg verschwunden: Ein allerletztes, leises Schellengeklingel - und sie stand allein, wie vom Donner gerührt und zu keinem vernünftigen Gedanken fähig. Sie musste sich unbedingt mit Pater Winfried beraten! Zu dumm, dass ihr Vater nicht in München war: Der alte Graf war gewieft und in seinem Leben schon mit einigen Schwierigkeiten fertiggeworden.
Wie sie jetzt ihren Kopf aus der Schlinge ziehen sollte, das wusste Gott allein! Flucht kam für sie nicht infrage - feige war sie niemals gewesen. Mechanisch setzte sie sich in Bewegung, um rechtzeitig zu ihrer Verabredung mit dem Herzog einzutreffen. Als sie einige Schritte getan hatte, fiel ihr siedendheiß ein: Wieso kam es dem Hofnarren überhaupt in den Sinn, sie zu warnen?
Dieses Angebot Seiner Durchlaucht bezeugte doch seine allerhöchste Wertschätzung! Andere Herren würden sich glücklich preisen. Doch Wölfflein hatte gesagt, er wisse , dass »der Geheime Rat« das Angebot des Herzogs nicht annehmen könne. Das konnte nur eins bedeuten: Der Hofnarr kannte ihr Geheimnis! Wie war das möglich?
Alberta fühlte sich leicht schwindelig. Ganz schwach tauchte eine Begebenheit vor ihrem geistigen Auge auf, die sie längst vergessen zu haben glaubte: Es war am Abend der Gaukler geschehen, als die alte Zigeunerin ihr aus der Hand gelesen und mit reichlich kryptischen Worten die Zukunft geweissagt hatte. Sie erinnerte sich an den durchdringenden Blick des Narren, mit dem dieser sie damals gemustert hatte.
Offenbar vermochten manche Menschen, die aus irgendwelchen Gründen am Rande der Gesellschaft existierten - und das war bei dem zwar vermögenden und beim Herzog hochangesehenen Wölfflein durchaus der Fall -, sofort Individuen zu erkennen, welche - genau wie sie - etwas zu verbergen hatten: Maximilians Hofnarr hatte sie bereits damals durchschaut! Aber er war ihr wohlgesinnt und versuchte jetzt, sie zu schützen.
Die zutiefst verunsicherte junge Frau strauchelte etwas, als sie über die Schwelle des herzoglichen Besprechungszimmers trat. Wider besseres Wissen hoffte sie insgeheim noch immer, der Narr habe sich nur einen schlechten Scherz mit ihr erlaubt …
KAPITEL 63
1. Mai 1612, bei Herzog Maximilian
WÖLFFLEINS »NEUIGKEIT« ERWIES sich leider keineswegs als Witz - obwohl Alberta ihren linken Arm geopfert hätte, wenn dem so gewesen wäre. Als sie das Ansinnen des Herzogs vernahm - das gewiss jeder andere Adelssprössling im heiratsfähigen Alter als große Fürstengunst aufgefasst hätte -, sank sie stumm auf die Knie. Nicht vor Ergriffenheit, wie Maximilian vielleicht glauben mochte, sondern aus purem Entsetzen. Mühsam setzte sie zu einer
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