Die Hexenadvokatin
kritischen Blick des Fürsten aufblitzen zu sehen. Sie rechnete es dem Herzog deshalb vor: »Ende Dezember 1612 erhalten Durchlaucht die von mir, pardon, die von Florian Dingler und mir abgeschlossene Gesetzessammlung. In den folgenden Jahren 1613 und 1614 können dann andere esetzeskundige den Codex Punkt für Punkt noch einmal durchgehen.
Vielleicht hat sich der eine oder andere Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen. Manches mag auch übersehen oder vergessen worden sein. Diese Verbesserungen können von den Korrektoren oder von Dingler allein ausgeführt werden. Etwa in der zweiten Hälfte des Jahres 1614 sollte das Werk dann in Druck gehen. Nach erneuter Durchsicht und eventueller Korrektur wird es zu Beginn des Jahres 1615 vorliegen und von Eurem Geist und Eurer modernen, humanen Gesinnung Zeugnis ablegen, Durchlaucht.«
Das Letzte hatte sie unbedingt noch anbringen müssen - wollte sie doch erreichen, dass der geschmeichelte Herrscher sich einige heikle Punkte der neuen Rechtsprechung noch einmal überlegte. Alberta missfiel es außerordentlich, dass mehrere entsetzliche Leibesstrafen nach wie vor im Codex Maximilianeus beibehalten werden sollten, unter anderem auch die Folter als »notwendige Erzwingungsmaßnahme von Geständnissen«.
Aber darauf ließ der Herzog sich im Augenblick nicht weiter ein; doch er war voll des Lobes.
»Ich weiß, Vetter, dass hauptsächlich Ihr an dem neuen Gesetzeswerk gearbeitet habt und dass der Anteil Dinglers ziemlich unbedeutend ist - trotzdem gefällt mir, dass Ihr ihn als Mitautor erwähnt habt.«
Gräfin Alberta spitzte die Ohren. Als »Vetter« hatte sie der Herzog bisher noch nie bezeichnet. Das tat er nur zuweilen bei ihrem Vater - außer der alte Graf versetzte ihn gerade wieder einmal in Wut. Immerhin bedeutete dies, dass der Fürst nicht nur sehr zufrieden mit ihr war, sondern dass er sie vielleicht sogar - gut leiden konnte?
Flüchtig schoss der jungen Frau der Gedanke an ein »Geständnis« durch den Sinn. Wäre jetzt vielleicht der geeignete Augenblick für die Wahrheit? Aber der Moment ging vorüber und Alberta sah wieder klar. Nein! Mit Maximilian könnte sie niemals über ihren »Geschlechtertausch« sprechen. Täte sie dies, wäre es vorbei mit dem herzoglichen Wohlwollen. Beinahe wäre ihr ein bitteres Auflachen entfahren, als sie überlegte, wie es sich wohl anhören würde, wenn Maximilian sie als »Base« titulierte …
»Ich bin sehr, sehr zufrieden mit Euch, Vetter. In Kürze werde ich eine Überraschung für Euch haben, an die Ihr niemals gedacht hättet, mein Lieber. Einige Punkte sind noch zu klären, aber sobald die Sache spruchreif ist, sollt Ihr es als Erster erfahren, Vetter.«
Alberta ergriff die gnädig gereichte, aus einer weißen Spitzenmanschette herausragende Hand ihres hohen Verwandten und küsste sie. Nach einem höflich gemurmelten »Einen wunderschönen Tag wünsche ich Eurer Durchlaucht. Gehabt Euch wohl bis morgen, erlauchter Vetter «, verließ Alberta den Herzog.
Sie brannte schon darauf, Pater Winfried von dem neuen Gunstbeweis des Landesfürsten zu berichten.
1. Mai 1612, in der Residenzstadt München
Im Laufe der nächsten Woche häuften sich die Fälle der schlimmen Seuche. Es handelte sich dabei um jene Form, bei welcher sich unter den Achseln, in der Halsbeuge und an den Leisten der Kranken schmerzhafte, hühnereigroße Eiterbeulen bildeten. Die Obrigkeit war besorgt. Der Leiter des speziell für die Pestkranken errichteten Siechenhauses am jenseitigen Isarhochufer auf dem Gasteigberg beklagte sich bereits.
Die wenigen Pfleger mussten die an der Beulenpest Erkrankten jeweils zu dritt und zu viert in ein Bett legen. Dass es unter diesen Umständen kaum möglich war, auch nur einen einzigen der Unglücklichen aus den Klauen der Seuche zu retten, war abzusehen. Die Ärzte unternahmen zwar den Versuch, durch Öffnen der Beulen »die schlechten Säfte« mit dem stinkenden Eiter abfließen zu lassen, aber infolge der katastrophalen Zustände im Hospital starben die Betroffenen trotzdem.
Eine winzige Chance, die Seuche zu überleben, hatten nur jene, bei denen die Beulen sich von selbst entleerten - und die anschließend die nötige Pflege in einigermaßen reinlichen Verhältnissen erhielten.
Der herzogliche Hof bereitete - wieder einmal - seinen Auszug aus der Stadt vor. Maximilian und Elisabeth würden sich erst einmal nach Landshut zurückziehen, wo derzeit noch kein Seuchenalarm gegeben wurde. Emsig
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