Die Hexenadvokatin
waren die Dienstboten am Packen. Keiner der Leute musste zur Arbeit angetrieben
werden: Alle hatten Angst vor der grausigen Epidemie.
Wer selbst noch keinen Pestausbruch miterlebt hatte, wurde von den Älteren über die Schrecknisse informiert: Nur wer unbedingt musste, wagte sich in solchen Zeiten auf die Gassen. Die Türen der Häuser, in denen Erkrankte dahinvegetierten, wurden von städtischen Arbeitern mit weißen Farbkreuzen markiert, damit keiner versehentlich die Schwelle übertrat. Das Allernötigste an Nahrung reichte man den Betroffenen mittels Stangen durchs Fenster hinein.
Die Verstorbenen wurden von den dazu noch fähigen Mitbewohnern vor die Haustür gelegt. Vermummte Leicheneinsammler verfrachteten zweimal am Tag die Toten auf ihre Pestkarren und schafften sie hinaus vor die Stadt, zum eigens in der Nähe des Sendlinger Tores angelegten Pestfriedhof, beziehungsweise zu dem neuen auf dem Gasteig.
Bald war ein ordentliches Begräbnis nicht mehr möglich und man behalf sich mit rasch ausgehobenen Gruben, in denen man die Leichen zu Dutzenden versenkte. Dann streute man Kalk über sie und häufte Erde auf die anonymen Massengräber.
Trotz der mit Essig getränkten Lappen, die sich die tapferen Männer vor Mund und Nase banden, wurden sie meist selbst ein Opfer der Pest. Man erzählte von Städten, in denen kein einziger Totengräber mehr lebte und die Leichname unbestattet in den Gassen lagen oder in ihren Häusern verwesten …
Besorgt, die Pest könne auf das gesamte Stadtgebiet übergreifen, begann man, auf größeren Plätzen Reisighaufen aufzuschichten, auf denen man zur Luftverbesserung Wacholderund Kiefernzweige sowie wohlriechende Kräuter verbrannte. Glaubten die Ärzte doch, die Seuche entstehe durch Verunreinigungen, die in der Luft schwebten und durch Einatmen
in den Körper gelangten. Den besten Schutz vor der Pest aus medizinischer Sicht bot allerdings die Flucht vor der verseuchten Luft in eine »saubere« Umgebung.
Wer dableiben musste, behalf sich mit dem »Ausräuchern« der Höfe und Häuser durch ätherische Öle und band sich mit Essig getränkte Tücher vors Gesicht. Die Pestärzte trugen häufig ein den ganzen Körper verhüllendes, schwarzes Gewand und die typische, in Italien entwickelte Schnabelmaske, zum Schutz vor den Krankheitserregern.
Der Monat Mai begann mit Regen und als die Gräfin sich den qualmenden, zum Husten reizenden, mühsam vor sich hin glimmenden Haufen aus Zweigen und Heilkräutern vor dem Haupteingang der Residenz näherte, musste sie wieder einmal mit unendlich großer Sehnsucht an Albrecht von Hochfelln-Tausch denken - den fernen Geliebten in der Toskana, den Einzigen, dem es bisher gelungen war, ihre Sinnlichkeit zu wecken.
Wo würden sie einst zusammen leben und eine eigene Familie gründen? Würde es überhaupt jemals eine gemeinsame Zukunft für sie geben? Oder sollte das Glück bereits zu Ende sein, ehe es überhaupt begonnen hatte? Immer häufiger zweifelte Alberta an der Erfüllung ihres nunmehr größten Wunsches: als Ehefrau und Mutter friedlich inmitten einer harmonischen Familie zu leben.
Da München seit dem frühen Morgen dieses Tages - wieder einmal - unter Quarantäne stand, war es der Gräfin nicht möglich, die Stadt auch nur für einige Zeit zu verlassen - es sei denn, der Herzog gestattete es ihr. Aber das würde er aller Voraussicht nach nicht tun; so würde sie für den Augenblick noch nicht einmal ihre Familie im Chiemgau besuchen können.
Alberta seufzte schwer und schritt durch den gut bewachten
Eingang der mächtigen Residenz. Vermutlich würde ihr Maximilian heute Anweisungen erteilen zu wichtigen Aufgaben, die sie während seiner Abwesenheit in München zu erledigen hatte.
Da sie wie üblich ein wenig zu früh gekommen war, beschloss die junge Frau spontan, sich die Wartezeit durch einen Spaziergang im Hofgarten zu verkürzen - trotz des unfreundlich-feuchten Wetters, das so gar nichts vom »wonnigen« Mai an sich hatte.
Wie abgezirkelt angelegte Rasenflächen wechselten mit exakt symmetrisch gestalteten Frühlingsblumenbeeten. Den Garten durchzogen schnurgerade, mit weißem Kies bestreute und penibel geharkte Wege, gesäumt von akkurat beschnittenen und niedrig gehaltenen Büschen. Der herzogliche Hofgarten spiegelte den Geschmack des Fürsten wider, der sich - dem Zeitgeist angepasst - für die französische Variante der Gartengestaltung entschieden hatte.
Während die Gräfin ihren Blick über die genau
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