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Die Hexenadvokatin

Die Hexenadvokatin

Titel: Die Hexenadvokatin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Weigand
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vermessene, bunte Frühlingspracht schweifen ließ, bis ihre Augen an einem Pavillon in antiker Manier hängen blieben, erfasste sie plötzlich brennende Sehnsucht nach ihrem Zuhause in den Chiemgauer Bergen. Sie konnte ihren Vater förmlich hören, wie dieser sich spöttisch über »Natur, der man Gewalt antat« ausließ.
    »Der Herrgott hat die Welt so wunderschön gemacht, da braucht der Mensch nicht drin rumzupfuschen«, pflegte der alte Graf zu sagen. Alberta empfand ganz ähnlich: Sie liebte den Wildwuchs. Wozu sollte es gut sein, die Natur zu »gestalten«? Aber mit dieser Ansicht standen sie und ihr Vater ziemlich allein da …
    Wenn sie sich den Hofgarten recht betrachtete, wo jeder Grashalm nur da wuchs, wo es seinem Eigentümer, dem Fürsten, gefiel, und wo zahlreiche Gärtner nur damit beschäftigt
waren, jedes vorwitzig aus dem Geäst wuchernde Zweiglein umgehend zu kappen, war ihr die traumhafte Aussicht, die sie daheim vom väterlichen Schloss aus genießen konnte, um vieles lieber.
    Sie hörte die Glocke von Sankt Peter zehn Uhr schlagen und beschloss allmählich umzukehren. Es blieb ihr immer noch eine halbe Stunde Zeit, ehe sie der Herzog zu sehen wünschte.
    Aber am liebsten wäre Alberta im Sturmschritt nach Hause gerannt, zum Palais ihrer Familie, hätte den kleinen Innenhof durchquert, ihr Pferd im dahinterliegenden Stall gesattelt, sich auf den Braunen geschwungen und wäre einfach - die Torwächter überrennend - aus der Stadt hinaus und immer weiter nach Süden galoppiert. Und am liebsten gleich weiter über die Alpen, über die Grenze nach Oberitalien, bis zur Stadt Lucca …
    Gewaltsam schüttelte Alberta den verführerischen Tagtraum ab und rief sich selbst wieder in die Wirklichkeit zurück.
    Sie würde den Weg durch den »Grottenhof« nehmen. Da konnte sie noch eine Weile beim Herkulesbrunnen verharren und bei dessen Gemurmel und Rauschen ungestört ihren Gedanken nachhängen. Als sie in der Grotte ankam, war sie allerdings nicht allein: Jemand schien auf sie gewartet zu haben. Kaum hob die Gräfin den Blick von den in weißblauem Rautenmuster verlegten Bodenfliesen, erblickte sie - einen Knaben, wie sie im ersten Moment dachte. In der nächsten Sekunde wusste sie, dass es Herr Wölfflein war, der zwergwüchsige Hofnarr Herzog Maximilians.
    Von Gestalt so klein wie ein Achtjähriger, trug der kluge Kopf doch die Züge eines etwa vierzigjährigen Erwachsenen. Der Ausdruck seiner dunklen Augen war wie immer melancholisch. Wer ihn sah und nicht wusste, wie gut er es verstand,
seinem Herrn die Trübsal durch scharfen Wortwitz und intelligenten Humor zu vertreiben, hätte den herausgeputzten Zwerg in seinem schreiend bunten Anzug für einen lächerlichen Hanswurst auf einer Dorfkirmes halten können.
    Seit ihn Alberta das letzte Mal gesehen hatte, schienen die zwei scharf eingeschnittenen Kerben zu beiden Seiten seines Mundes noch tiefer geworden zu sein und seine gewaltige Nase schien noch weiter aus dem knochigen Gesicht hervorzuragen.
    Der breite Mund verzog sich zu einem wehmütigen Lächeln, als er sein Gegenüber betrachtete. Der etwa einen Meter und dreißig Zentimeter kleine Mann in den absurd großen, gelben Schnabelschuhen und der grellroten Zackenmütze mit den vielen Narrenschellen rückte ganz nah an Alberta heran und bedeutete ihr - die sich vor ihm wie eine Riesin ausnahm -, sich ein wenig hinunterzubeugen.
    »Ich wünsche Euch einen angenehmen Tag! Was gibt es denn, Herr Wölfflein?«, erkundigte sich die Gräfin respektvoll und ohne das dümmliche Grinsen im Gesicht, das die meisten der Edelleute zur Schau trugen, sobald sie es mit dem Narren zu tun hatten.
    Wölfflein war es gewohnt, vom Hofadel mit Herablassung behandelt zu werden - allerdings nur in Abwesenheit des Herzogs. War Maximilian zugegen, taten alle sehr untertänig. Der Narr rächte sich allerdings für die Missachtung seiner Person, indem er die Unzulänglichkeiten der Betreffenden gnadenlos der Lächerlichkeit preisgab.
    Alberta, die keinen Augenblick an einen Zufall glaubte, überlegte fieberhaft, weshalb Wölfflein sie wohl ausgerechnet hier beim »Herkulesbrunnen« abgefangen hatte - dem einzigen Ort in der gesamten Residenz, wo es gänzlich unmöglich war, ein Gespräch zu belauschen.

    »Könntet Ihr Euch noch schnell aus München davonmachen, Graf, ehe der Pest wegen jedes Schlupfloch dicht ist?«, erkundigte sich der Zwerg ohne Umschweife. »Besser noch: Könntet Ihr für eine Weile ganz aus Bayern

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