Die Hexenadvokatin
mit keinem Wort den Grund seiner plötzlichen Abreise - und die Gräfin machte, dass sie davonkam. Draußen auf der Gasse, vor der Residenz, blieb sie erst einmal stehen, um Atem zu schöpfen.
Aber es war nicht reine Luft, die ihr die Lungen füllte, sondern der stechende Geruch von verbranntem Wacholder, von Goldrute, Rosmarin und Thymian, die in dem großen, runden Eisenbehälter am Portal des pompösen Gebäudes vor sich hin glommen.
Herrgott! Die verfluchte Pest gab es ja auch noch … Alberta keuchte, verschluckte sich und hustete krampfhaft. »Vielleicht wäre es besser, ich stürbe daran, dann hätte das ganze Elend ein für alle Male ein Ende«, schoss es ihr durch den Kopf. Gleichzeitig erschrak sie über ihren Fatalismus. Doch sie bemerkte deutlich, dass sie mit ihren Kräften langsam am Ende war. Weitere Zwischenfälle konnte sie nicht mehr verkraften.
Den auffallend ehrerbietigen Gruß einiger Ratskollegen bemerkte sie viel zu spät. Erst als die Herren schon im Torweg
der Residenz verschwunden waren, fiel ihr ein, dass sie die Räte gar nicht beachtet hatte.
Ihre famose »Rangerhöhung« zu einem angeheirateten Großcousin des Herzogs und zum Schwiegersohn eines möglichen zukünftigen Kaisers schien sich bereits herumgesprochen zu haben. Nun hielten sie ihre Kollegen sicher für hochmütig, weil sie ihre Begrüßung nicht erwidert hatte. Doch Alberta hatte im Augenblick wahrlich andere Sorgen.
1. Mai 1612, kurz darauf im Palais Mangfall-Pechstein
»Heilige Mutter Gottes!« Der Pater bekreuzigte sich. »Wie seht Ihr denn aus, Alberta? Totenbleich und mit einem Gesicht, als würdet Ihr am liebsten in Tränen ausbrechen. Soo schlimm ist das Ganze ja nun auch wieder nicht! Ihr hättet eigentlich früher oder später mit so einer Situation rechnen müssen, oder etwa nicht?«
»So? Findet Ihr, Pater? Damit konnte ich keineswegs rechnen! Es ist eine absolute Katastrophe ! Etwas Schlimmeres habe ich mir in meinen ärgsten Alpträumen nicht ausgemalt. Der Herzog wird toben, wenn er erfährt, dass ich mich weigere.« Alberta ließ sich zitternd in einen Sessel fallen und hatte sich unversehens in eine gewisse Theatralik hineingesteigert. Sie wunderte sich schon gar nicht mehr, dass der Pater offenbar schon wieder alles wusste, ehe sie überhaupt richtig beginnen konnte, das Unglück zu schildern. Nur über seine große Ruhe war sie mehr als erstaunt.
»Verzeiht, meine Liebe! Aber so töricht werdet Ihr doch nicht wirklich sein und Euch wegen eines dubiosen, alten Weibes all den Ärger aufladen wollen?«
»Wovon redet Ihr überhaupt, Pater? Wen meint Ihr mit ›altes
Weib‹? Das Mädchen ist gerade mal fünfzehn und eine wahre Schönheit.«
»Na, na! Ich sehe schon, Ihr sprecht von der Enkelin der angeblichen Hexe. Ja, die Dirne - die übrigens siebzehn oder achtzehn ist - sieht ganz niedlich aus, wenn man den bäuerlichderben Menschenschlag schätzt. Aber Ihr werdet doch deswegen nicht Eure Contenance verlieren, oder?«
»Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr! Bin ich denn verrückt - oder seid Ihr es möglicherweise, Pater?« Entgeistert starrte Alberta ihren Mentor an; es beschlich sie das ungute Gefühl, dass sie aneinander vorbeiredeten.
»Ich weiß nicht, wovon Ihr zu sprechen geruht! Ich rede davon, dass Ihr schon wieder einen verflixten Hexenprozess am Hals habt. Gerade heute hat der nichtsnutzige jesuitische Hexenjäger, den Euer Vater so verabscheut, eine Alte von fast sechzig Jahren im Falkenturm einliefern lassen und dazu ihre junge Enkeltochter, die angeblich bei all ihren Schandtaten mitgewirkt hat. Diesmal stammen die Opfer aus Straubing.«
»Gott sei mit den Ärmsten!«, rief die Gräfin aus. »Soll ich etwa schon wieder die Hexenadvokatin spielen? Ich habe endgültig genug davon! Aber hört zu, Pater! Ich habe davon gesprochen, dass Herzog Maximilian mir eine Verwandte - eine Tochter seines Vetters Ferdinand - zur Gemahlin bestimmt hat! Wusstet Ihr davon?«
»Grundgütiger Himmel, nein! Alle Heiligen mögen uns beistehen! Jetzt fliegt der Betrug auf, oh Gott!«
Auch der Pater war jetzt kreideweiß. Er räusperte sich eine Weile, bevor er verzagt meinte: »Da heißt es jetzt, gut überlegen, ehe wir etwas Übereiltes tun, Alberta.«
»Was gibt es da groß zu überlegen, Pater? Ich werde mich noch heute Nachmittag, ehe der Herzog die Residenz verlässt,
bei Seiner Durchlaucht anmelden lassen und alles beichten. Dann wird er ja wohl einsehen, dass ich als Ehemann
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