Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
auffiel, hängte sie sich bei mir ein und versprach mir in für mich überraschend mütterlicher Weise: „Ich bleibe an deiner Seite, Dorith, die ganze Zeit über.“ Sie stupste mich leicht an: „Hm, kleine Schwester? - Und jetzt lasst uns gemeinsam nach unten gehen.“
Danke, EM, du Bescheidene, doch Geborgenheit Verleihende. Ich schämte mich, dass ich mich ihrer all die Jahre am wenigsten hatte entsinnen können.
Im Festsaal waren etwa hundert Menschen versammelt, alle schwarz oder zumindest dunkel gekleidet. An der Stirnseite des Saals stand Mutter an einem Schreibpult und sprach mit einem Herrn, der seiner Robe nach der Disburger Advokat war. Nun entdeckte uns Mutter und bat uns mit einer Handbewegung zu sich, worauf es unter den Versammelten stiller wurde, bis alle schweigend zu uns herschauten. Die meisten Augenpaare waren staunend auf mich gerichtet, auch das von Elgrin, der ich ein angedeutetes Blinkern zurücksandte.
Mutter wartete noch einen Moment, bat dann Bertrada und Dietrich vorzutreten und hieß den Advokaten, die Rechte und Pflichten der Herrschaften von Erlenrode zu verlesen. Der Advokat kam der Aufforderung nach. Ein langer Text. Nachdem er geendet hatte, fragte Mutter Bertrada und Dietrich, ob sie den verlesenen Inhalt akzeptierten und bereit seien, die Führung der Lehnschaft anzutreten. Sie bejahten, worauf Mutter verlauten ließ:
„Somit erkläre ich dich, Bertrada zur Baronin, und dich, Dietrich, zum Baron von Erlenrode. Tragt euch bitte mit euren neuen Titeln in diese vorbereitete Urkunde ein.“
Sie taten es. Da das Gutshaus in Trauer stand, wurde anschließend nicht applaudiert, doch die Domestiken lächelten dem jungen Baronenpaar Wohl gesonnen zu.
Mutter legte eine kleine Pause ein, während der sich meine Nervosität steigerte, obschon mir EM beruhigend den Arm drückte.
Dann erklang wieder Mutters wohltönende Stimme: „Kommen wir zu unserer zweiten heutigen Aktion. Mir sind die jahrelangen Gerüchte, meine jüngere Tochter Dorith sei verschollen, bekannt, was ich hiermit offiziell dementiere.“ Sie winkte mich neben sich, EM rückte an meine andere Seite, und Mutter fuhr fort: „Bitte sehr, hier seht Ihr meine Tochter Dorith.“
Aufgeregtes Gemurmel entstand unter den Versammelten. Ich wurde mit fragenden, skeptischen aber überwiegend mit erfreuten Blicken betrachtet, und da ich Mutter so auffallend ähnelte, konnte bald niemand mehr in Zweifel ziehen, die verschollen geglaubte Tochter der Gräfin vor Augen zu haben.
Es dauerte lang, ehe sich die Aufregung gelegt hatte und Mutter den Versammelten erklären konnte, ich habe unter der Obhut von Verwandten in Schwaben eine medizinische Klosterschule besucht und mich dort zur Klosterköchin ausbilden lassen. Nach anschließendem Praktikum sei ich zu dem hiesigen Gut gereist, wo ich dann meinem todkranken Vater mit meinen Heilkünsten ein erträglicheres Dasein ermöglicht habe.
Die Gesichter der Anwesenden waren immer weicher geworden, und EM drückte mir fortwährend den Arm. Ich aber hätte mich am liebsten fortgestohlen, obgleich ich wusste, wie wichtig diese von Mutter so geschickt formulierte Erklärung für meine jahrelange Abwesenheit war.
Weiterhin hörte ich Mutter sagen, man möge mir nachsehen, dass ich vorübergehend einen anderen Namen getragen habe, denn dieses Inkognito sei aus mehreren Gründen unerlässlich gewesen. Wegen alledem hätte ich mich bisher auch noch nicht zu den Rechten und Pflichten einer Disburger Grafentochter bekennen können, was nun nachgeholt werde.
Darauf rollte der Advokat eine uralte, stellenweise braun verfärbte und an den Rändern sorgfältig mit Papierstreifen gestärkte Pergamentrolle auf und las mir den entsprechenden Inhalt vor. Der besagte im Wesentlichen, dass ich auf Reisen in jedem Disburger Haus Gastlichkeit erwarten dürfe und ein moralisch einwandfreies sowie auf das Wohl der Grafschaft bedachtes Leben zu führen habe. Nachdem der Advokat geendet hatte, bedeutete mir Mutter, das auf dem Pult liegende Dokument zu unterzeichnen. Ich musste mich um eine ruhige Hand bemühen, als ich nun erstmalig wieder meinen so lange vergessenen wahren Namen niederschrieb, Dorith von Disburg.
Als ich danach meinen Kopf wieder anhob, sah ich nur in freudig gerührte Gesichter, und ich blickte glücklich zurück. Trotz meines noch nicht beerdigten Vaters und der vielen Trauerkleidung hier im Saal, herrschte jetzt eine gehobene Stimmung. Und während Mutter zum Abschluss einige ausklingende Worte
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