Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
bekam.
Darauf sagte mir Dietrich: „Also EM und mir hat Mutter stets beteuert, du seist noch am Leben, eine Mutter fühle das. Ich habe es ihr geglaubt. EM wohl nicht, denn sie hat viel und schmerzlich geweint um dich.“
Welches Leid hatte Johannes über unsere Familie gebracht. Sogar über ganz Erlenrode. Nur gut, dass die Erlenroder die tatsächliche Ursache ihres jahrelangen Elends nie erfahren hatten, ihre eigene Version war zuträglicher für sie.
Nun lächelte ich Dietrich an: „Danke, dass du so offen mit mir gesprochen hast, ich kann dir nicht sagen, wie erlöst ich mit einem Mal bin.“
„Das kann ich dir nachfühlen“, er prostete mir zu, „denn mir geht es ähnlich. Auf deine Zukunft, Dorith!“
Trotz meiner inneren Befreiung nach Dietrichs Enthüllungen, benötigte ich noch viele Tage, um mich mit all diesen erschreckenden Tatsachen auseinandersetzen. Dabei wurde mir noch deutlicher, dass zwar ich seinerzeit das Opfer gewesen war, doch meine Eltern und Geschwister mindestens so viele Seelenwunden davongetragen hatten, jeder seine eigenen. Und Vater hatte das für seine Begriffe einzig Richtige getan, er hatte Johannes mit Sicherheit erst seine Todsünden vorgehalten und ihn erst dann hingerichtet. Ob das nun gut zu heißen war oder nicht, Vater hatte durch seine mutige Tat einen öffentlichen Prozess verhindert, der unsere gesamte Familie beschmutzt hätte, und das Todesurteil wäre Johannes dann ohnehin sicher gewesen.
Mutter wie Vater hatten sich damals beide nahezu übermenschliche Entscheidungen abgefordert.
B ald beschäftigten mich jene Geschehnisse kaum noch. Ich hatte mit meiner Vergangenheit abgeschlossen. Optimismus bestimmte nun wieder mein Wesen, und mit ihm befand ich mich an der Schwelle eines neuen Lebensabschnitts.
Zart von der Sonne beschienener Herbstnebel bedeckte unser Burggelände und umspielte die Stämme der teils jahrhundertalten Buchen und Eichen. Reichlich Platz nahm jede für sich ein, mächtig, stolz und souverän standen sie da - jeder Baum ein König.
Ich saß auf der Burgterrasse und sann über meinen Neubeginn. Wenn ich auch noch nicht schlüssig war, welche Tätigkeit ich künftig ausüben werde, so war doch eins für mich unumstößlich, die hiesige Gegend werde ich nicht verlassen. Hier war mein Zuhause, hier, wo man das Weben der Natur mit allen Sinnen wahrnahm, und wenn ich mich tief genug darin einfand, erschloss sich mir auch das siderische Ätherwirken.
Raimund erging es nicht anders, weshalb auch er den hiesigen Landstrich wie keinen anderen liebte und noch immer auf der Disburg weilte. Sicher, noch mehr liebte er mich, wie er mir stets aufs Neue beteuerte, und umgekehrt gehörte mein ganzes Herz ihm. Ich wünschte, er würde seine Hochschule hier errichten, Mutter würde ihm das mit Freuden ermöglichen. Eine Schule für einfache, junge Leute, deren Besuch sich jeder wirklich Interessierte leisten könne, so, wie wir uns das ursprünglich vorgestellt hatten. Die ehemalige Odenborner Klosterschule war zu bombastisch für solch eine Einrichtung, sie war für Adelige geeignet, die entsprechende Ansprüche stellten. Das wusste Raimund natürlich und war nicht gerade glücklich darüber, wollte jedoch seinen Vater nicht enttäuschen. Ich musste abwarten, wie er sich entscheiden wird.
Nun betrat Mutter die Terrasse. Sie entdeckte mich, und auf meine einladende Handbewegung ließ sie sich neben mir auf einen Gartenstuhl nieder. Schön, mal einige Minuten mit ihr alleine zu sein, denn mit ihren vierundfünfzig Jahren war sie noch immer den ganzen Tag über aktiv.
„Du siehst prächtig aus“, sagte sie mir, worauf ich gestand:
„Keine Leistung bei meiner ständigen Faulenzerei. Allerdings langweile ich mich inzwischen.“
„So? Das ließe sich ändern, indem du mir ein wenig zur Hand gingst.“
„Beim Regieren?“
Darauf lachte sie ihr ansteckend perliges Lachen und ließ mich dann wissen: „Ich nenne es Verwalten, und es würde nicht schaden, wenn du dich daran ein wenig beteiligtest, immerhin könnte ich dich jederzeit anstelle von EM zu meiner Nachfolgerin bestimmen.“
„Das wäre leichtsinnig, Mutti“, warnte ich sie scherzend, „denn ich bin im Sternbild Zwilling geboren, und Raimund sagt, unsereiner wird häufig gleichzeitig mit zwei gleich wichtigen Angelegenheiten konfrontiert, zwischen denen wir uns dann entscheiden müssen. Gut und schön, nur ist das bei mir noch komplizierter, denn bei mir sind das nicht zwei, sondern mindestens drei
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